Wild wie Winnetou (SZ)
Gipfelgegner: Wild wie Winnetou
Hinter der internationalen Autonomenbewegung steht ein theoretisches Werk, aus dem sich die Gewaltbereitschaft ganz anders ableitet als aus der schlichten Hooliganerklärung: die Theorie des Neo-Primitivismus.Von Andrian Kreye
Die Erklärung wäre so einleuchtend wie einfach - Hooligans haben Rostock verwüstet. Schwarzvermummte, die sich an den Brennpunkten der Protestkultur zusammenfinden, um mit Pflastersteinen, Molotowcocktails und in schweren Stiefeln Krawall um des Krawalls willens anzuzetteln.
Wer die Dynamik so verstehen will, müsste lediglich das Standardwerk zur Kultur der Fußball-Hooligans des Literaturkritikers Bill Buford lesen, das in der deutschen Ausgabe mit dem selbsterklärenden Titel "Geil auf Gewalt" erschienen ist.
Da gäbe es dann nichts zu deuten und zu interpretieren. Wären da nicht die offensive Strategie. Und die Wurzeln der autonomen Bewegung in einer so obskuren wie komplizierten Ideologie - dem Neo-Primitivismus.
Nun sollte man auch nicht den Fehler begehen und der autonomen Bewegung einen ähnlichen Lesedrang unterstellen, wie ihn die außerparlamentarische Linke der sechziger und siebziger Jahre pflegte. In Seattle, Göteborg, Genua und Rostock zählte die Praxis des Straßenkampfes und nicht die Denkschulen des Anarchismus. Und doch steht hinter der internationalen Autonomiebewegung ein theoretisches Werk, aus dem sich die Gewaltbereitschaft ganz anders ableitet, als aus der schlichten Hooliganerklärung. Danach wird im Straßenkampf des schwarzen Blocks nicht Gewalt um ihrer selbst willen zelebriert, sondern eine pauschale Absage an die Zivilisation.
Was im Dezember 1999 mit der "Battle of Seattle" als Urknall der internationalen Protestbewegung in die Geschichte einging, war letztlich der Endpunkt einer langen Selbstfindungsphase. Die außerparlamentarische Linke war im Chaos der postideologischen neunziger Jahre implodiert. Zu komplex war das Themenfeld der Globalisierung, zu undurchsichtig die Verwerfungen der ideologischen Ströme.
Glückseliger Urzustand
Was sich da zögernd gegen die Welthandelsorganisation mobilisierte, war eine neue internationale Protestbewegung, die eine Form noch suchte. Auf den Straßen von Seattle eskalierten hingegen die Aktionen eines kleinen Häufleins Schwarzvermummter, die sehr wohl wussten, was sie taten.
Dreißig, höchstens vierzig junge Männer und Frauen hatten mit Brechstangen die Schaufensterscheiben großer Banken und Ketten zu zerschlagen. Das Gros der selbst ernannten Anarchists war aus dem knapp drei Stunden entfernten Portland in Oregon angereist. Die Staatsmacht reagierte panisch. Zwei Tage und Nächte dauerte die Straßenschlacht. Seither ist der zivile Widerstand der Protestbewegung untrennbar mit den Gewaltaktionen des schwarzen Blocks verbunden.
Kaum jemand erwähnte damals den Mann, der hinter den Autonomen von Portland stand. John Zerzan hatte die jungen Anarchisten um sich gesammelt, ein Schriftsteller und Anarchist, der zu den Vordenkern des Neo- oder auch Anarcho-Primitivismus zählt. Die Menschheit habe den falschen Weg eingeschlagen, schreibt Zerzan in Essays wie "Future Primitive" oder "Against Technology".
Doch wo die marxistische Linke die Ursünde in den Anfängen der Industrialisierung und die neue Protestbewegung im entfesselten freien Markt der Globalisierung sieht, geht Zerzan in der Menschheitsgeschichte sehr viel weiter zurück."
Seit den frühen siebziger Jahren haben wir ein deutlich anderes Bild, von dem, wie das Leben in jener vorzivilisatorischen Zeit war, die vor rund zwei Millionen Jahren begann und vor ungefähr zehntausend Jahren endete. Diese Frühgeschichte wurde von Intelligenz, Egalitarismus und Gemeinschaft, einem hohen Maß an Freizeit, Gleichberechtigung der Geschlechter und keinem einzigen Hinweis auf organisierte Gewalt bestimmt."
Dieser glückselige Urzustand, so Zerzan, wurde vom Wandel einer Gesellschaft der Jäger und Sammler zur Zivilisation von Ackerbau und Viehzucht beendet. Denn diese Formen der organisierten Nahrungsmittelproduktion haben nach Zerzan die Voraussetzungen für den Raubbau an der Erde, für das Entstehen hierarchischer Strukturen und somit die Unterdrückung geschaffen.
Nun ist John Zerzan ein kluger Mann, der sich auf Horkheimer und Adorno bezieht, der Rilke, Russell und Foucault zitiert. Er räumt auch bereitwillig ein, dass die Umsetzung eines utopischen Primitivismus schwierig bis unmöglich ist. Doch was als friedlicher Weg begann, bekam bei Zerzan bald schon einen aggressiven Unterton. Es war seine Bewunderung für den Mathematikprofessor und Anarchisten Theodore Kaczynski, die Zerzan umdenken ließ.
Kaczynski hatte von 1978 bis zu seiner Verhaftung als "Unabomber" im April 1996 Briefbomben an Wissenschaftler und Fluggesellschaften geschickt, dabei drei Menschen getötet und 23 verletzt. 1995 hatte er seine Taten in einem langatmigen Traktat mit dem Titel "Industrial Society and Its Future" verteidigt, ein Text, der Zerzan tief beeindruckte. Die Gewalt des Unabombers lehnte er zunächst strikt ab. Doch nachdem er Kaczynskis Prozess besuchte und sich mit ihm angefreundet hatte, schrieb er 1997 einen Text über ihn mit dem Titel "Er meint es ernst - und Du?", in dem er die friedlichen Anarchisten und Aktivisten als "grüne Yuppies und Hobbyanarchisten" beschimpfte.
Ökoterrorismus
Im Diskurs der amerikanischen Anarchisten steht Zerzan für eine radikale Abkehr von der Linken. Er schrieb gegen die letzten Idealisten eines traditionellen Anarchismus an, der sich in den Texten von Murray Bookchin und Bob Black längst in ermüdenden Ideologiescharmützeln auszehrte. Zerzan steht aber auch in der Tradition der radikalen Ökobewegung des pazifischen Nordwestens.
Vom zivilen Widerstand der Ruckus Society und der Organisation Earth First bis zur gezielten Sabotage der Earth Liberation Front wurde diese Bewegung zunehmend ausgegrenzt und vom FBI inzwischen zur terroristischen Bewegung mit dem Gefährlichkeitsgrad der al-Qaida erklärt. "Eco-Terrorism" lautet der offizielle Begriff für all jene, die Luxuswagen abfackeln und Holzfäller sabotieren.
In Europa und gerade in Deutschland fiel diese neo-primitivistische Denkschule auf fruchtbaren Boden. Das Misstrauen gegenüber Fortschritt und Moderne war hier schon immer ausgeprägt, egal ob sich die Maschinenstürmer des Luddismus gegen die Anfänge der Industrialisierung wandten oder grüne Bürgerinitiativen das anbrechende Informationszeitalter aufhalten wollten, indem sie gegen Kabelfernsehen im Mietshaus protestierten. Vor allem aber gab es eine Autonomenszene, die von Brokdorf über die Startbahn West bis zur Antifa viel Straßenkampferfahrung gesammelt hatte.
Nun ist der Neo-Primitivismus nichts anderes als eine politisierte Fortsetzung des Mythos vom "Edlen Wilden". Zudem gibt es in der Literatur einen großen Kanon, der mit Rousseau beginnt, über Goethe und Schiller bis zu Huxley reicht. Nirgendwo gibt es jedoch eine so frühkindliche Prägung durch das Idealbild des edlen Wilden wie in Deutschland. Karl May heißt der Autor, der in seinen Romanen immer wieder den Kampf des unverbildeten Urmenschen mit der zerstörerischen Zivilisation romantisiert. Ist also Winnetou an allem schuld?
Der Neo-Primitivismus bleibt jedenfalls erhalten - wer sich von der Zivilisation abwendet, der will nicht verhandeln. Doch die Zivilisation ist grausam. Längst hat der Pop den Radical Chic der Bewegung erkannt. Im Dezember wird der Film "The Battle in Seattle" in die amerikanischen Kinos kommen. Die Hauptrollen spielen Charlize Theron und Woody Harrelson. Vom Neo-Primitivismus dürfte auch da keine Rede sein.
(SZ vom 5.6.2007)
Hinter der internationalen Autonomenbewegung steht ein theoretisches Werk, aus dem sich die Gewaltbereitschaft ganz anders ableitet als aus der schlichten Hooliganerklärung: die Theorie des Neo-Primitivismus.Von Andrian Kreye
Die Erklärung wäre so einleuchtend wie einfach - Hooligans haben Rostock verwüstet. Schwarzvermummte, die sich an den Brennpunkten der Protestkultur zusammenfinden, um mit Pflastersteinen, Molotowcocktails und in schweren Stiefeln Krawall um des Krawalls willens anzuzetteln.
Wer die Dynamik so verstehen will, müsste lediglich das Standardwerk zur Kultur der Fußball-Hooligans des Literaturkritikers Bill Buford lesen, das in der deutschen Ausgabe mit dem selbsterklärenden Titel "Geil auf Gewalt" erschienen ist.
Da gäbe es dann nichts zu deuten und zu interpretieren. Wären da nicht die offensive Strategie. Und die Wurzeln der autonomen Bewegung in einer so obskuren wie komplizierten Ideologie - dem Neo-Primitivismus.
Nun sollte man auch nicht den Fehler begehen und der autonomen Bewegung einen ähnlichen Lesedrang unterstellen, wie ihn die außerparlamentarische Linke der sechziger und siebziger Jahre pflegte. In Seattle, Göteborg, Genua und Rostock zählte die Praxis des Straßenkampfes und nicht die Denkschulen des Anarchismus. Und doch steht hinter der internationalen Autonomiebewegung ein theoretisches Werk, aus dem sich die Gewaltbereitschaft ganz anders ableitet, als aus der schlichten Hooliganerklärung. Danach wird im Straßenkampf des schwarzen Blocks nicht Gewalt um ihrer selbst willen zelebriert, sondern eine pauschale Absage an die Zivilisation.
Was im Dezember 1999 mit der "Battle of Seattle" als Urknall der internationalen Protestbewegung in die Geschichte einging, war letztlich der Endpunkt einer langen Selbstfindungsphase. Die außerparlamentarische Linke war im Chaos der postideologischen neunziger Jahre implodiert. Zu komplex war das Themenfeld der Globalisierung, zu undurchsichtig die Verwerfungen der ideologischen Ströme.
Glückseliger Urzustand
Was sich da zögernd gegen die Welthandelsorganisation mobilisierte, war eine neue internationale Protestbewegung, die eine Form noch suchte. Auf den Straßen von Seattle eskalierten hingegen die Aktionen eines kleinen Häufleins Schwarzvermummter, die sehr wohl wussten, was sie taten.
Dreißig, höchstens vierzig junge Männer und Frauen hatten mit Brechstangen die Schaufensterscheiben großer Banken und Ketten zu zerschlagen. Das Gros der selbst ernannten Anarchists war aus dem knapp drei Stunden entfernten Portland in Oregon angereist. Die Staatsmacht reagierte panisch. Zwei Tage und Nächte dauerte die Straßenschlacht. Seither ist der zivile Widerstand der Protestbewegung untrennbar mit den Gewaltaktionen des schwarzen Blocks verbunden.
Kaum jemand erwähnte damals den Mann, der hinter den Autonomen von Portland stand. John Zerzan hatte die jungen Anarchisten um sich gesammelt, ein Schriftsteller und Anarchist, der zu den Vordenkern des Neo- oder auch Anarcho-Primitivismus zählt. Die Menschheit habe den falschen Weg eingeschlagen, schreibt Zerzan in Essays wie "Future Primitive" oder "Against Technology".
Doch wo die marxistische Linke die Ursünde in den Anfängen der Industrialisierung und die neue Protestbewegung im entfesselten freien Markt der Globalisierung sieht, geht Zerzan in der Menschheitsgeschichte sehr viel weiter zurück."
Seit den frühen siebziger Jahren haben wir ein deutlich anderes Bild, von dem, wie das Leben in jener vorzivilisatorischen Zeit war, die vor rund zwei Millionen Jahren begann und vor ungefähr zehntausend Jahren endete. Diese Frühgeschichte wurde von Intelligenz, Egalitarismus und Gemeinschaft, einem hohen Maß an Freizeit, Gleichberechtigung der Geschlechter und keinem einzigen Hinweis auf organisierte Gewalt bestimmt."
Dieser glückselige Urzustand, so Zerzan, wurde vom Wandel einer Gesellschaft der Jäger und Sammler zur Zivilisation von Ackerbau und Viehzucht beendet. Denn diese Formen der organisierten Nahrungsmittelproduktion haben nach Zerzan die Voraussetzungen für den Raubbau an der Erde, für das Entstehen hierarchischer Strukturen und somit die Unterdrückung geschaffen.
Nun ist John Zerzan ein kluger Mann, der sich auf Horkheimer und Adorno bezieht, der Rilke, Russell und Foucault zitiert. Er räumt auch bereitwillig ein, dass die Umsetzung eines utopischen Primitivismus schwierig bis unmöglich ist. Doch was als friedlicher Weg begann, bekam bei Zerzan bald schon einen aggressiven Unterton. Es war seine Bewunderung für den Mathematikprofessor und Anarchisten Theodore Kaczynski, die Zerzan umdenken ließ.
Kaczynski hatte von 1978 bis zu seiner Verhaftung als "Unabomber" im April 1996 Briefbomben an Wissenschaftler und Fluggesellschaften geschickt, dabei drei Menschen getötet und 23 verletzt. 1995 hatte er seine Taten in einem langatmigen Traktat mit dem Titel "Industrial Society and Its Future" verteidigt, ein Text, der Zerzan tief beeindruckte. Die Gewalt des Unabombers lehnte er zunächst strikt ab. Doch nachdem er Kaczynskis Prozess besuchte und sich mit ihm angefreundet hatte, schrieb er 1997 einen Text über ihn mit dem Titel "Er meint es ernst - und Du?", in dem er die friedlichen Anarchisten und Aktivisten als "grüne Yuppies und Hobbyanarchisten" beschimpfte.
Ökoterrorismus
Im Diskurs der amerikanischen Anarchisten steht Zerzan für eine radikale Abkehr von der Linken. Er schrieb gegen die letzten Idealisten eines traditionellen Anarchismus an, der sich in den Texten von Murray Bookchin und Bob Black längst in ermüdenden Ideologiescharmützeln auszehrte. Zerzan steht aber auch in der Tradition der radikalen Ökobewegung des pazifischen Nordwestens.
Vom zivilen Widerstand der Ruckus Society und der Organisation Earth First bis zur gezielten Sabotage der Earth Liberation Front wurde diese Bewegung zunehmend ausgegrenzt und vom FBI inzwischen zur terroristischen Bewegung mit dem Gefährlichkeitsgrad der al-Qaida erklärt. "Eco-Terrorism" lautet der offizielle Begriff für all jene, die Luxuswagen abfackeln und Holzfäller sabotieren.
In Europa und gerade in Deutschland fiel diese neo-primitivistische Denkschule auf fruchtbaren Boden. Das Misstrauen gegenüber Fortschritt und Moderne war hier schon immer ausgeprägt, egal ob sich die Maschinenstürmer des Luddismus gegen die Anfänge der Industrialisierung wandten oder grüne Bürgerinitiativen das anbrechende Informationszeitalter aufhalten wollten, indem sie gegen Kabelfernsehen im Mietshaus protestierten. Vor allem aber gab es eine Autonomenszene, die von Brokdorf über die Startbahn West bis zur Antifa viel Straßenkampferfahrung gesammelt hatte.
Nun ist der Neo-Primitivismus nichts anderes als eine politisierte Fortsetzung des Mythos vom "Edlen Wilden". Zudem gibt es in der Literatur einen großen Kanon, der mit Rousseau beginnt, über Goethe und Schiller bis zu Huxley reicht. Nirgendwo gibt es jedoch eine so frühkindliche Prägung durch das Idealbild des edlen Wilden wie in Deutschland. Karl May heißt der Autor, der in seinen Romanen immer wieder den Kampf des unverbildeten Urmenschen mit der zerstörerischen Zivilisation romantisiert. Ist also Winnetou an allem schuld?
Der Neo-Primitivismus bleibt jedenfalls erhalten - wer sich von der Zivilisation abwendet, der will nicht verhandeln. Doch die Zivilisation ist grausam. Längst hat der Pop den Radical Chic der Bewegung erkannt. Im Dezember wird der Film "The Battle in Seattle" in die amerikanischen Kinos kommen. Die Hauptrollen spielen Charlize Theron und Woody Harrelson. Vom Neo-Primitivismus dürfte auch da keine Rede sein.
(SZ vom 5.6.2007)
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