Ein Autonomer packt aus
"Angriff ist Widerstand"
Torben Wichert* hat am Samstag selbst Steine geworfen. Der Berliner Autonome ist überzeugt: Ohne Polizei gäbe es keine Gewalt. Oder doch?Interview: Thorsten Denkler
Torben Wichert* (Name geändert) gehörte zu denen, die am Samstag in Rostock Steine geworfen haben. Er war Teil des sogenannten Autonomen Blocks, in dem etwa 4000 Vermummte marschierten. Wichert will nicht erkannt werden. Er kritisiert die bloße Präsenz der Polizei - gleichzeitig aber wird deutlich, dass es bei den Autonomen auch ohne Polizei zu Gewalt käme. Einblicke in eine von Selbstzweifeln freie Gedankenwelt.
sueddeutsche.de: Herr Wichert, nach den Krawallen vom Samstag fragen sich viele: Warum nimmt jemand einen Stein und wirft ihn auf einen Polizisten? Sie gehören zum Autonomen Block und haben am Samstag Steine geworfen. Können Sie die Frage beantworten?
Torben Wichert: Es liegt natürlich an der Provokation der Polizei.
sueddeutsche.de: Welche Provokation? Die Polizei war doch kaum zu sehen.
Wichert: Mitten auf unserer Route stand auf einmal ganz allein ein Polizeiwagen. "Warum macht die das?", fragen wir uns da. Die Polizei muss damit rechnen, wenn sie so etwas macht, dass die Leute, wenn sie an dem Wagen vorbeigehen, mit der Hand auf das Auto klopfen. Das war ungeschickt von der Polizei. Das war der Auslöser.
sueddeutsche.de: Sekunde. Da flogen erst mal Steine auf das Auto. Die Hände kamen erst später.
Wichert: Ich bleibe dabei. Da wurde nur mit der flachen Hand draufgehauen.
sueddeutsche.de: Sie werden nicht auch bestreiten, dass später Steine flogen.
Wichert: Ich komme aus Berlin und habe oft genug erlebt, wie die Polizei auf Demonstranten eingeknüppelt hat. Wenn es uns dann gelingt, mit Steinen die Knüppelei zu beenden, und zwar so, dass die Polizei wegrennen muss, dann hat es einen Sinn, die Polizei anzugreifen.
sueddeutsche.de: Jetzt sprechen Sie von Angriff. Gerade klang es noch wie Selbstverteidigung.
Wichert: Das ist ein Stück Widerstand. Die Polizei knüppelt und wir greifen mit Steinen an.
sueddeutsche.de: Augenzeugen berichten, im Schwarzen Block habe es von Beginn an eine hohe Aggression gegeben. Wie war ihr Eindruck?
Wichert: Die Demonstration hat mich eher an einen Ostermarsch erinnert. Sehr ruhig und sehr friedlich. Die Polizei war weit und breit nicht zu sehen. Das blieb so bis zum Platz der Abschlusskundgebung.
sueddeutsche.de: Und dann stand da der Polizeiwagen.
Wichert: Genau. Der wurde angefasst und geschlagen. Einige haben daran gewackelt. Und dann kamen die Polizeieinheiten auf uns zu und haben angefangen, Leute von uns zu schlagen.
sueddeutsche.de: Die Autonomen sind nicht für ihre besondere Friedfertigkeit bekannt. Woher kommt diese Gewaltbereitschaft?
Wichert: Sie wäre nicht da, wenn die Polizei nicht da wäre. Die Frage muss doch andersherum gestellt werden. Warum gibt es immer wieder Polizeigewalt? Das ist ein Wechselverhältnis. Es wäre nicht zu Gewalt gekommen, wenn dieser Wagen dort nicht gestanden hätte.
sueddeutsche.de: Dann nehmen wir mal an, es gäbe in Heiligendamm keinen Zaun und keine Polizei. Die Bundeskanzlerin und ihre Gäste würde nur vom Portier des Hotels geschützt. Wären die Demos dann friedlich?
Wichert: Nö, dann würden wir natürlich reingehen.
sueddeutsche.de: Das wäre Hausfriedensbruch.
Wichert: Meine Utopie ist eine gewaltfreie Gesellschaft. Aber auf dem Weg dahin geht es eben nicht ohne Gewalt.
sueddeutsche.de: Zehntausende andere Demonstranten haben nicht zu Steinen gegriffen.
Wichert: Das ist ja ein breites Bündnis. Einige lehnen Gewalt ab. Andere sagen, ich würde es nicht machen, aber es ist okay, wenn man sich wehrt. Wir sagen, es ist richtig, Widerstand zu leisten, wenn wir angegriffen werden.
sueddeutsche.de: Sie könnten sich doch auch einfach zurückziehen und die Gewalt von sich heraus einstellen - oder gar nicht erst aufkommen lassen.
Wichert: Manchmal geht das einfach nicht. Die Polizeipräsenz macht auch einfach aggressiv. Wenn heute wieder die Polizeihubschrauber über die Camps fliegen, trägt schon der Geräuschpegel nicht dazu bei, sich zu entspannen.
sueddeutsche.de: Ist es nicht viel eher so, dass Sie mit Gewalt mehr Aufmerksamkeit auf Ihre Themen lenken wollen?
Wichert: Mit Steinewerfen werden wir den Kapitalismus nicht überwinden. Aber natürlich schafft Gewalt mehr Beachtung in den Medien. Das haben ja auch die militanten Anschläge auf Autos von Konzernchefs im Vorfeld des Gipfels gezeigt. Das schafft mehr Öffentlichkeit als Flugblätter zu verteilen, was ich auch mache. Schlagzeilen gibt es nur mit Gewalt.
sueddeutsche.de: Für die Durchsetzung Ihrer politischen Ziele bräuchten Sie ja die Zustimmung der Bevölkerung. Die will die Eskalation der Gewalt nicht.
Wichert: Richtig ist, wenn ich heute die Tageszeitungen aufschlage, ist Gewalt der Aufmacher, nicht der Inhalt der G-8-Proteste. Darum versuchen wir immer, auch die Inhalte mit zu vermitteln. Aber da spielt die Presse meist nicht mit.
sueddeutsche.de: Sie werfen Steine, um Aufmerksamkeit zu bekommen - und beschweren sich, wenn die Presse dann nur über die Gewalt berichtet?
Wichert: (lange Pause) Nein. Die Gruppen, die die Autos in Brand gesetzt haben, die haben es geschafft, auch ihre Inhalte mit zu vermitteln.
sueddeutsche.de: Wie geht es jetzt weiter in den nächsten Tagen?
Wichert: Das hängt von der Polizei ab. Wenn sie weiter so martialisch auftritt, werden wir das als Provokation begreifen.
sueddeutsche.de: Sie lassen sich aber leicht provozieren.
Wichert: Ich sage ja nicht, dass man gleich Steine werfen muss. Aber das Auftreten macht vielleicht auch gerade den unerfahrenen Demonstrationsteilnehmern Angst.
"Angriff ist Widerstand"
Torben Wichert* hat am Samstag selbst Steine geworfen. Der Berliner Autonome ist überzeugt: Ohne Polizei gäbe es keine Gewalt. Oder doch?Interview: Thorsten Denkler
Torben Wichert* (Name geändert) gehörte zu denen, die am Samstag in Rostock Steine geworfen haben. Er war Teil des sogenannten Autonomen Blocks, in dem etwa 4000 Vermummte marschierten. Wichert will nicht erkannt werden. Er kritisiert die bloße Präsenz der Polizei - gleichzeitig aber wird deutlich, dass es bei den Autonomen auch ohne Polizei zu Gewalt käme. Einblicke in eine von Selbstzweifeln freie Gedankenwelt.
sueddeutsche.de: Herr Wichert, nach den Krawallen vom Samstag fragen sich viele: Warum nimmt jemand einen Stein und wirft ihn auf einen Polizisten? Sie gehören zum Autonomen Block und haben am Samstag Steine geworfen. Können Sie die Frage beantworten?
Torben Wichert: Es liegt natürlich an der Provokation der Polizei.
sueddeutsche.de: Welche Provokation? Die Polizei war doch kaum zu sehen.
Wichert: Mitten auf unserer Route stand auf einmal ganz allein ein Polizeiwagen. "Warum macht die das?", fragen wir uns da. Die Polizei muss damit rechnen, wenn sie so etwas macht, dass die Leute, wenn sie an dem Wagen vorbeigehen, mit der Hand auf das Auto klopfen. Das war ungeschickt von der Polizei. Das war der Auslöser.
sueddeutsche.de: Sekunde. Da flogen erst mal Steine auf das Auto. Die Hände kamen erst später.
Wichert: Ich bleibe dabei. Da wurde nur mit der flachen Hand draufgehauen.
sueddeutsche.de: Sie werden nicht auch bestreiten, dass später Steine flogen.
Wichert: Ich komme aus Berlin und habe oft genug erlebt, wie die Polizei auf Demonstranten eingeknüppelt hat. Wenn es uns dann gelingt, mit Steinen die Knüppelei zu beenden, und zwar so, dass die Polizei wegrennen muss, dann hat es einen Sinn, die Polizei anzugreifen.
sueddeutsche.de: Jetzt sprechen Sie von Angriff. Gerade klang es noch wie Selbstverteidigung.
Wichert: Das ist ein Stück Widerstand. Die Polizei knüppelt und wir greifen mit Steinen an.
sueddeutsche.de: Augenzeugen berichten, im Schwarzen Block habe es von Beginn an eine hohe Aggression gegeben. Wie war ihr Eindruck?
Wichert: Die Demonstration hat mich eher an einen Ostermarsch erinnert. Sehr ruhig und sehr friedlich. Die Polizei war weit und breit nicht zu sehen. Das blieb so bis zum Platz der Abschlusskundgebung.
sueddeutsche.de: Und dann stand da der Polizeiwagen.
Wichert: Genau. Der wurde angefasst und geschlagen. Einige haben daran gewackelt. Und dann kamen die Polizeieinheiten auf uns zu und haben angefangen, Leute von uns zu schlagen.
sueddeutsche.de: Die Autonomen sind nicht für ihre besondere Friedfertigkeit bekannt. Woher kommt diese Gewaltbereitschaft?
Wichert: Sie wäre nicht da, wenn die Polizei nicht da wäre. Die Frage muss doch andersherum gestellt werden. Warum gibt es immer wieder Polizeigewalt? Das ist ein Wechselverhältnis. Es wäre nicht zu Gewalt gekommen, wenn dieser Wagen dort nicht gestanden hätte.
sueddeutsche.de: Dann nehmen wir mal an, es gäbe in Heiligendamm keinen Zaun und keine Polizei. Die Bundeskanzlerin und ihre Gäste würde nur vom Portier des Hotels geschützt. Wären die Demos dann friedlich?
Wichert: Nö, dann würden wir natürlich reingehen.
sueddeutsche.de: Das wäre Hausfriedensbruch.
Wichert: Meine Utopie ist eine gewaltfreie Gesellschaft. Aber auf dem Weg dahin geht es eben nicht ohne Gewalt.
sueddeutsche.de: Zehntausende andere Demonstranten haben nicht zu Steinen gegriffen.
Wichert: Das ist ja ein breites Bündnis. Einige lehnen Gewalt ab. Andere sagen, ich würde es nicht machen, aber es ist okay, wenn man sich wehrt. Wir sagen, es ist richtig, Widerstand zu leisten, wenn wir angegriffen werden.
sueddeutsche.de: Sie könnten sich doch auch einfach zurückziehen und die Gewalt von sich heraus einstellen - oder gar nicht erst aufkommen lassen.
Wichert: Manchmal geht das einfach nicht. Die Polizeipräsenz macht auch einfach aggressiv. Wenn heute wieder die Polizeihubschrauber über die Camps fliegen, trägt schon der Geräuschpegel nicht dazu bei, sich zu entspannen.
sueddeutsche.de: Ist es nicht viel eher so, dass Sie mit Gewalt mehr Aufmerksamkeit auf Ihre Themen lenken wollen?
Wichert: Mit Steinewerfen werden wir den Kapitalismus nicht überwinden. Aber natürlich schafft Gewalt mehr Beachtung in den Medien. Das haben ja auch die militanten Anschläge auf Autos von Konzernchefs im Vorfeld des Gipfels gezeigt. Das schafft mehr Öffentlichkeit als Flugblätter zu verteilen, was ich auch mache. Schlagzeilen gibt es nur mit Gewalt.
sueddeutsche.de: Für die Durchsetzung Ihrer politischen Ziele bräuchten Sie ja die Zustimmung der Bevölkerung. Die will die Eskalation der Gewalt nicht.
Wichert: Richtig ist, wenn ich heute die Tageszeitungen aufschlage, ist Gewalt der Aufmacher, nicht der Inhalt der G-8-Proteste. Darum versuchen wir immer, auch die Inhalte mit zu vermitteln. Aber da spielt die Presse meist nicht mit.
sueddeutsche.de: Sie werfen Steine, um Aufmerksamkeit zu bekommen - und beschweren sich, wenn die Presse dann nur über die Gewalt berichtet?
Wichert: (lange Pause) Nein. Die Gruppen, die die Autos in Brand gesetzt haben, die haben es geschafft, auch ihre Inhalte mit zu vermitteln.
sueddeutsche.de: Wie geht es jetzt weiter in den nächsten Tagen?
Wichert: Das hängt von der Polizei ab. Wenn sie weiter so martialisch auftritt, werden wir das als Provokation begreifen.
sueddeutsche.de: Sie lassen sich aber leicht provozieren.
Wichert: Ich sage ja nicht, dass man gleich Steine werfen muss. Aber das Auftreten macht vielleicht auch gerade den unerfahrenen Demonstrationsteilnehmern Angst.
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