Knaller an der Zeitungsfront

Saturday, December 09, 2006

Im roten Bereich (FR)

Hintergrund
Im roten Bereich
VON VIKTOR FUNK

Vier Tage nach dem Mord an der Publizistin Anna Politkowskaja verkündete ein russischer Journalist: "Ich bin objektiv der Meinung", sagte Maxim Schewtschenko deutschen Kollegen in Dresden: "Wir sind das freieste Land der Welt." Der Mann ist Moderator des staatstreuen Ersten Kanals.

In diesem Land, in Russland, hat Grigori Pasko, ebenfalls Journalist, frei zu arbeiten versucht. Er deckte Ende der 90er Jahre auf, wie die russische Flotte Atommüll ins japanische Meer kippte. Er wurde dafür geehrt - und landete für vier Jahre im Gefängnis und im Arbeitslager.

Die lange Spurdes atomaren Gifts

Wie frei und demokratisch Russland sei, steht wieder zur Debatte seit jenem Tag im November, an dem in London der ehemalige russische Geheimdienst-Agent Alexander Litwinenko vergiftet wurde. Denn die Spur des atomaren Gifts in seinem Körper, Polonium 210, führt nach Russland. Öffentlich erklärte Litwinenko in einem englischen Journalistenclub nur wenige Tage vor seiner Vergiftung: Hinter dem Mord an Politkowskaja stehe der russische Präsident Wladimir Putin persönlich.

Wie viel Wahrheit in dieser gewagten Behauptung steckt, lässt sich wahrscheinlich nie klären. Für Grigori Pasko, der heute in Moskau lebt, ist der Fall komplizierter - und für Russlands Kritiker insgesamt vielleicht bedrohlicher. "Wir haben im Land solche Strukturen, dass bestimmte Kräfte jeden Beliebigen töten können und dabei wissen, dass es den Mächtigen gefallen wird." In jedem Fall aber haben sie nichts zu befürchten.

Pasko war zu Sowjetzeiten Militärjournalist in der Marine. Als das Reich der 15 Republiken zerfiel, wechselte er zur zivilen Presse und schrieb, was er im Militär sah, aber niemals durch die Militärzensur brachte: Wie die Armee zerfiel; wie russische Soldaten amerikanische Hilfspakete erhielten; wie im fernen Osten Waffenabfälle die Umwelt zerstörten; wie Atommüll im Meer landete. Seine Recherchen gingen um die Welt. Ende September 1997 empfing ihn der russische Geheimdienst am Flughafen von Wladiwostok, als er aus Japan zurückkehrte. Verhaftungsgrund und Anklage: Landesverrat, Paragraf 275 des russischen Strafgesetzbuches. Er soll Ausländern Staatsgeheimnisse verraten haben.

Er habe in den 90ern an die neuen, demokratischen Gesetze geglaubt. "Aber die Staatsorgane blieben eigentlich dieselben, besonders KGB, die Staatsanwaltschaft und die Gerichte", sagt Pasko jetzt im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau. Trotz internationaler Proteste war er mehr als eineinhalb Jahre in Untersuchungshaft. Dann kam er zwar bei einer Amnestie raus, doch die neue Freiheit dauerte kurz. Ende Dezember 2001 wurde er noch verurteilt - zu vier Jahren Arbeitslager strengster Kategorie.

Grigori Pasko
Grigori Michailowitsch Pasko wurde am 19. Mai 1962 in der Südukraine geboren. Sein Vater war Lehrer, die Mutter arbeitete in der Landwirtschaft. In Lwiw studierte er Journalistik an der Militärpolitischen Hochschule und arbeitete seit 1983 als Militärjournalist. Der KGB, heute FSB, beobachtete Pasko schon früh, weil er den Anwerbungsversuchen widerstand und auch kritische Themen nicht scheute. Wie die Marine Atommüll ins Meer kippte, filmte Pasko. Deswegen wurde er wegen Landesverrats verurteilt und saß insgesamt vier Jahr im Gefängnis und im Arbeitslager. Seine Erfahrungen in der Haft sind vor kurzem in Deutschland im Wallstein Verlag erschienen, Titel: "Die Rote Zone"

Während der Zeit im Gefängnis führte er ein Tagebuch. Im Lager durfte er keinen Stift anrühren. Erst später, mittlerweile vorzeitig entlassen, notierte er auch seine Erfahrungen im Lager. Vor wenigen Wochen ist das Buch "Die Rote Zone" in Deutschland erschienen - in Russland fand er für das Manuskript keinen Verleger. Wie das Buch seiner Kollegin und Bekannten Anna Politkowskaja: "In Putins Russland".

Mittlerweile, sagt Pasko, "ist es fast unmöglich geworden, kritische Meinungen von Oppositionspolitikern zu finden". Er lese "alle möglichen Medien", er spreche "mit vielen, vielen Menschen", daraus filtere er Informationen, die er für glaubwürdig halte. Dass der Großteil der russischen Presse vielfach nur die Meinungen der Staatsorgane wiederkäut, das hat er in der Zeit im Gefängnis gelernt. Seine eigene Meinung und Artikel heute zu veröffentlichen wird für ihn zunehmend schwierig. Er versucht es dennoch.

Mit Hilfe eines amerikanischen Fonds gibt er die Zeitschrift "Umwelt und Recht" heraus. Die Auflage ist bescheiden, 1000 Stück. Seine Arbeit werde durch Behörden erschwert. "Jederzeit kann verboten werden, in bestimmte Gegenden oder ins Ausland zu reisen. Jederzeit können Journalisten ins Gefängnis gesteckt oder sogar getötet werden." Zu ihm habe ein Angehöriger des Geheimdienstes FSB gesagt, an ihm wolle man ein Exempel statuieren. "Das ist ihnen gelungen", sagt Pasko, "über Atommüll im fernen Osten schreibt niemand mehr".

Nach Angaben der russischen Journalistenvereinigung starben zwischen 1992 und 2006 mehr als 210 Journalisten in Russland. Die meisten in der Zeit unter der Präsidentschaft Putins. Die Mörder laufen immer noch frei herum. Zahlreiche westliche Politiker behaupten hingegen, das Land werde durchaus demokratischer.

Pasko hatte früh eine Vorahnung, was unter dem früheren Spion - oder dem Aufklärer, wie Wladimir Putin sich zumindest selbst sieht - wohl geschehen würde. In seinem Buch schreibt er rückblickend: "Nachdem der KGB-Mann Putin an die Macht kam, wurde in Russland von offizieller Seite viel darüber geschrieben, wie gut, ja nahezu komfortabel es die Häftlinge heute in den Strafvollzugseinrichtungen haben." Über Pasko hieß es, er sei unter "Treibhausbedingungen", also in heimelig wohnlicher Umgebung einquartiert. Paskos Antwort darauf: "Ich wünsche mir aufrichtig, dass der betreffende Schreiberling einmal hinter Stacheldraht landet, wenigstens so lange und unter denselben Bedingungen wie ich."

Putins Suche nachunbedingter Loyalität

Seit Putin an der Macht ist, hat sich nicht nur das Image des russischen Militärs und der Geheimdienste positiv gewandelt. Schritt für Schritt baute der Präsident, der sich schon als Schüler auf einer Leningrader KGB-Stelle als Anwärter vorstellte, die Machtpyramide in Russland um. Die Soziologin Olga Kryschtanowskaja hat die Herrschaftsverhältnisses untersucht. Ihr Ergebnis: Putins steile Karriere kam auch für ihn so unverhofft, dass er als frisch gekürter Präsident schnell loyale Gefolgschaft brauchte. Für einen Militär- und Geheimdienstmann gibt es Loyalität aber nur in den eigenen Reihen - dem Sektor, der demokratische Diskussionen und Kritik von unten grundsätzlich nicht duldet.

Der inhaftierte ehemalige Öl-Oligarch Michail Chodorkowski sprach sich offen für einen Regimewechsel bei den Präsidentschaftswahlen 2008 aus. Der ehemalige Schachweltmeister Gary Kasparow kämpft immer noch dafür. Pasko sieht dem Ereignis nüchterner entgegen: "Es wird eine Show geben, bei der die Macht von einem KGB-Mann zum nächsten weitergereicht wird. Von demokratischen Wahlen kann keine Rede sein. Die gibt es bei uns schon lange nicht und wird es unter der derzeitigen Regierung auch nicht geben", sagt er.

Für ihn hat das schon jetzt ganz unmittelbare Folgen. Sein kritisches Blatt findet kaum Abnehmer. "Ich muss zusehen, wie ich meine Familie ernähre." Er hat vier Kinder aus zwei Ehen. Obwohl er bekannt ist und bei vielen Chefredakteuren anklopft, lehnen sie ab, berichtet er. "Sie sagen mir direkt ins Gesicht, warum: ,Sie haben einen gefährlichen Namen.'"

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