Knaller an der Zeitungsfront

Monday, January 28, 2008

"Der Staat muss Grenzen aufzeigen“ (Tagesspiegel)

Roland Koch
"Der Staat muss Grenzen aufzeigen“
Der hessische Ministerpräsident Roland Koch spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über Populismus im Wahlkampf, härtere Strafen für Jugendliche und den Unterschied zwischen Anstand und Poltical Correctness.

Herr Koch, sind Sie ein Populist?
Ich bin ein Politiker, der Wert darauf legt, dass in politischen Auseinandersetzungen auch das zu Wort kommt, was die Mehrheit der Menschen denkt.

Bevor wir zu den Details kommen: Ist im Wahlkampf alles erlaubt, oder gibt es Grenzen des Anstands?
Natürlich gibt es Regeln des Anstands, und die gelten auch im Wahlkampf. Aber das sind nicht die Regeln der sogenannten Political Correctness. Beispielsweise die Fragen, die sich aus dem Zusammenleben mit ausländischen Mitbürgern ergeben, darf man im Wahlkampf nicht ausklammern. Sie gehören genauso da hin.

Weil sie Ihnen ein Thema liefern, um Ihre Wähler zu mobilisieren?
Wenn die großen demokratischen Parteien nicht die Kraft haben, Themen anzusprechen und Probleme zu lösen, die die Menschen bewegen, machen sie kleine, radikale Parteien groß. Das darf man nicht erlauben.

Keine Angst vor Stimmen vom rechten Rand?
Wer eine demokratische Partei wählt, hat einen wichtigen Schritt in die Demokratie hinein getan. Volksparteien müssen immer in der Lage sein, bis zum demokratischen Rand zu integrieren. Nicht darüber hinaus, aber bis dahin.

Der Verdacht des Populismus gründet sich auf den Eindruck, dass Ihnen diese Themen immer dann in den Sinn kommen, wenn Wahlkampf ist.
Das mag ein Berliner Eindruck sein, ist aber nicht die Wahrnehmung der Menschen in Hessen. Ich spreche über diese Themen immer – übrigens auch mit den Ausländerbeiräten und türkischen Gruppierungen. Bei uns im Land haben 40 Prozent der neugeborenen Kinder einen Migrationshintergrund. Deshalb haben diese Fragen hier auch mindestens die gleiche politische Bedeutung wie jedes andere wirtschafts- oder sozialpolitische Thema.

Ist es anständig, Ressentiments zu bedienen gegen Zuwanderer?
Ich tue das nicht. Es muss aber möglich sein, über Missstände auch dann zu sprechen, wenn sie Zuwanderer betreffen. Wir haben in Deutschland viel zu lange den Fehler gemacht, Probleme im Umfeld von Zuwanderung zum Tabu zu erklären, nicht zu erwähnen, weil immer einige in Politik und Medien behauptet haben, das sei unanständig. Die Folge ist, dass wir die Wirklichkeit nicht mehr korrekt beschreiben. Und das treibt längst viele Menschen, die diese Wirklichkeit täglich erleben, schlicht zur Verzweiflung.

Aber ist es, um eins Ihrer Beispiele zu nehmen, eine korrekte Beschreibung der Wirklichkeit, dass in Wohnküchen nach moslemischem Brauch Tiere geschächtet werden – ist das nicht in Wahrheit seltene Ausnahme?
Wenn eine staatliche hessische Wohnungsbaugesellschaft mit einem Bestand von 64 000 Wohnungen auf die Idee kommt, sie wolle die Menschen künftig in Wohnblocks aufteilen nach Deutschen und Migranten, und da wiederum nach verschiedenen Herkunftsländern, damit es keine Konflikte mehr gibt – dann muss man sich doch fragen, warum sie auf eine solche Idee kommt. Ich habe dem Wohnungsbauunternehmen übrigens untersagt, diese Trennung vorzunehmen, weil ich nicht glaube, dass das ein richtiger Weg wäre. Aber das Schächten in der eigenen Wohnung ist in bestimmten Wohngebieten eben leider keine Ausnahme, sondern ein sehr ernsthaftes Problem.

Und dies gilt auch für „in unserem Land ungewohnte Vorstellungen von Müllentsorgung“, wie Sie schreiben?
Ich habe inzwischen rund 1000 Briefe, Faxe und Mails bekommen mit viel Zustimmung. Und mit bedrückenden Beispielen, in denen Leute schildern, was ihnen passiert ist. Zahlreiche schreiben mir, dass der Müll beim Nachbarn einfach den Balkon runterfliegt. Wir müssen endlich aufhören so zu tun, als würden solche Dinge von bösartigen Politikern erfunden. Über die richtige Antwort kann man ja streiten, aber das Problem zu ignorieren ist falsch, ja gefährlich.Wie müssten denn die Antworten aussehen, Beispiel Müll?Es gibt für uns Politiker immer zwei Wege. Der eine ist der Weg der Gesetzgebung. In einer freiheitlichen Gesellschaft wird aber das meiste – was ja auch gut ist – nicht mit Gesetzen geregelt, sondern durch gesellschaftliche Debatte und Konsens, auf den man sich verständigen muss. Wir können nicht in eine Benutzungsordnung von Bussen schreiben, dass Jüngere für Ältere aufstehen sollen, schön bürokratisch mit Altersgrenzen geregelt. Aber es sollte eine Selbstverständlichkeit werden, dass Jugendliche sich gar nicht mehr vorstellen können, einfach sitzen zu bleiben, wenn eine ältere Frau zusteigt und keinen Platz findet. Das gilt genauso für die Hausordnung. Wir wollen politisch, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft in einem Haus zusammenleben können – und zwar gut. Das bedeutet aber, und das müssen wir klar sagen, dass bestimmte Dinge nicht stattfinden dürfen. Erst wenn das nicht funktioniert, stellt sich am Ende die Frage nach dem Kündigungsrecht des Vermieters.

Hausschlachtung als Kündigungsgrund?
Da Journalisten immer darauf aus sind, dass etwas passiert: Ja, diese Konsequenz ist denkbar. Aber als allerletzte, wenn jemand nicht aufhört, seine Nachbarn zu piesacken. Die eigentliche Sache ist, dass dort Menschen wohnen, denen wir nie gesagt haben, wo die Grenzen sind, an welche Regeln man sich zu halten hat. Die politische, auch die Debatte in den Medien hat das Problem ausgeblendet. Jetzt wundern wir uns, wenn diese Menschen irritiert sind, dass wir ihr Verhalten nicht besonders komisch finden. Deshalb ist es so wichtig, dass wir als Gesellschaft sagen, was wir von ihnen erwarten.

Kürzlich haben Sie ein Verbot von Burkas erwogen, von Ganzkörperschleiern für moslemische Frauen. Dabei trägt in ganz Hessen niemand eine Burka.
Aus der gleichen Logik heraus müsste man mir vorwerfen, dass ich mich voriges Jahr intensiv mit den Gefahren der Beteiligung ausländischer Staatsfonds an deutschen Unternehmen beschäftigt habe, obwohl es noch gar kein chinesischer oder russischer Fonds probiert hat. Wenn Politiker Probleme immer erst dann zu lösen versuchen, wenn das Kind auf dem Weg zum Brunnen oder gar drin ist, dann haben sie ihre Aufgabe verfehlt. Wir müssen klar und vorher sagen: Es gibt rote Linien, die werden in unserem Lande nicht überschritten. Jugendgewalt ist kein neues und kein Tabuthema.

Warum haben Sie auf die Tat in München so hart reagiert?
Wir in Hessen, alle Parteien, haben das Thema Jugendgewalt im letzten Jahr sehr intensiv diskutiert. Wir sind als Bundesland mit der Föderalismusreform neu für den Jugendstrafvollzug zuständig geworden, CDU und SPD haben Entwürfe im Landtag vorgelegt, die sich zueinander verhalten wie Feuer und Wasser. Wir als CDU haben damals das Gleiche gesagt wie heute. Nur hat das damals niemand registriert, weil keine überregionale Zeitung und kein Fernsehen über einen Streit im Landtag zu Wiesbaden berichtet, aber jetzt alle über die U-Bahn- Schläger in München. Und warum: weil es bewegte Bilder gab und dadurch ganz Deutschland geschockt ist.

Sie waren also immer schon für mehr Härte gegen jugendliche Straftäter?
Mehr Härte auf der einen Seite, als konsequentes Vorgehen des Staates gegen Regelverletzungen. Wenn Sie sich den Jugendstrafvollzug in Hessen ansehen, sehen Sie aber, dass wir auf der anderen Seite die Betreuung jugendlicher Straftäter massiv ausbauen. Ein Gefängnis muss eine undurchlässige Mauer haben, deshalb bin ich gegen offenen Vollzug. Aber wir haben heute in den Jugendvollzugsanstalten mehr Sozialpädagogen, mehr Hilfen und Brücken zurück nach draußen als je zuvor.

Was genau meint also Härte?
Uns ist jahrelang erzählt worden, der Staat müsse bei jungen Straftätern weich reagieren. Das halte ich für falsch. Der Staat muss gerade Jugendlichen rechtzeitig und unmissverständlich die Grenzen aufzeigen. Später, wenn ein junger Mensch in eine kriminelle Karriere abgeglitten ist, ist es dafür oft zu spät. Deshalb der Vorschlag eines Warnschussarrestes, damit Täter bald nach der Tat merken, dass der Staat es ernst meint. Und das ist, nach meiner festen Überzeugung, bei Jugendlichen das Allerwichtigste. Unsere Polizisten und Staatsanwälte treffen zu viele Jugendliche, die unser heutiges System als Erlebnis betrachten. Die steigen in der Hierarchie ihrer Gruppe eher noch auf, wenn sie mal vor einem Jugendrichter waren. Persönlich unangenehm für sie ist das alles nicht. Es geht alles einfach immer weiter. Und das ist, zu Ende gedacht, ein schlimmer Satz.

Kriminologen bezweifeln die segensreichen Wirkungen eines Warnschussarrests.
Man muss unterscheiden, über wen wir reden. Wir reden nicht von Intensivtätern. Aber fragen Sie mal einen normalen Polizisten auf einer Wache. Der trifft häufig junge Menschen, die Regelübertretung als Mutprobe betreiben. Und er trifft seine „Stammkunden“ immer wieder. Bei diesen jungen Leuten könnte ein Warnschussarrest sehr früh zu einer anderen Form von Nachdenken führen als eine folgenlose Verwarnung.

Und wenn nicht?
Ich behaupte doch nicht, dass man mit einer Maßnahme alle Probleme löst. Aber die klugen Kriminologen haben mit ihren Methoden über Jahrzehnte hinweg die Probleme auch nicht gelöst. Wir sollten die Palette unseres Instrumentariums erweitern.

Auch um erleichterte Abschiebung?
Natürlich! Ein Jugendlicher wie der türkische Täter von München muss heute die Möglichkeit, dass er abgeschoben wird, doch gar nicht in Betracht ziehen. Und daran richtet er sein Verhalten aus. Erst recht gilt das für die Intensivtäter, die ja leider für manche Jugendliche eine Art Vorbildfunktion haben. Die machen uns lächerlich und wissen dabei: Es passiert ja doch nix. Wenn wir von Abschieben reden, dann geht es nicht um Tausende, nicht mal um Hunderte. Aber wenn es uns gelänge, ein paar Dutzend solcher Intensivtäter außer Landes zu schaffen, würde das seine dauerhafte Wirkung nicht verfehlen.

Hätten Ihre Vorschläge die Tat von München verhindert?
Ich stelle mich doch nicht hin und sage, dass ein Gesetz oder ein Bündel von Maßnahmen eine konkrete Tat verhindern könnte. Wir können und sollten aber die Wahrscheinlichkeit verringern.

Sie müssen sich in drei Wochen zur Wahl stellen. Erleichtert oder erschwert die große Koalition in Berlin diese Aufgabe?
Zweigeteilte Antwort: Ich persönlich finde, dass die Art und Weise, wie die CDU und insbesondere Angela Merkel mit ihrem persönlichen Ansehen in der großen Koalition auftreten, für die CDU einen Vorteil bedeutet. Zweiter Teil der Antwort: Ein richtiger CDU-Wähler will nicht, dass sich CDU und SPD auf der Hälfte treffen. Die Kompromisse, die eine große Koalition machen muss, sind für ihn nicht CDU-Politik. Ich stehe zu dieser Koalition, habe sie ja auch gewollt und wirke in ihr mit. Ich bin mit den Kompromissen einverstanden. Aber natürlich ist es – übrigens für beide Volksparteien – in Zeiten einer großen Koalition eine größere Aufgabe, die eigenen Anhänger für eine Wahl zu mobilisieren.


Die SPD versucht es mit einem Thema der großen Koalition, dem Mindestlohn.
Na ja, eigentlich verletzt sie die Regeln der großen Koalition. Ich will es ihr nicht groß vorwerfen. Nur, wir haben in der Koalition zu dieser Frage ein bestimmtes Verfahren und bestimmte Schritte festgelegt. Die SPD versucht jetzt, jenseits der eigenen Arbeit in der Koalition mit dem Thema zu polarisieren. Wenn sie das für klug hält, bitte.

Berührt die Mindestlohnforderung nicht einen Nerv, eine ganz allgemeine Empfindung von sozialer Gerechtigkeit, auf die auch die CDU eine Antwort braucht?
Über diese Fragen müssen wir differenziert diskutieren. Zum Beispiel ist es so, dass die sogenannten Aufstocker – also Menschen, die neben einem regulären Einkommen Hartz-IV-Leistungen bekommen – im Schnitt überwiegend nur drei Monate in diesem Verhältnis bleiben. Das heißt: Sie haben danach einen besser bezahlten Job, der sie ohne Staatshilfen ernährt. Die SPD wird sich gut überlegen müssen, ob sie diesen Weg zum Einstieg und Aufstieg in den Arbeitsmarkt wirklich versperren will.

Stünden Sie eigentlich für eine große Koalition in Wiesbaden zur Verfügung?
Ich sehe diese Variante nicht. Es gibt in Hessen drei Parteien mit einem in den meisten Punkten sehr nahe beieinanderliegenden Programm auf der Linken – SPD, Grüne und Linkspartei – und zwei bürgerliche Parteien, CDU und FDP. Es wird auf der einen oder der anderen Seite eine Mehrheit geben. Frau Ypsilanti kann nur mit den Stimmen der Linkspartei Ministerpräsidentin werden. CDU und SPD würden sich als Volksparteien vergewaltigen, wenn sie versuchen würden, eine Brücke zu schlagen. Wir müssen den Wählern sagen: Ihr müsst euch entscheiden. Und ich bin sicher, dass die Hessen den Wohlstand in einem wirtschaftsstarken Land nicht aufs Spiel setzen wollen.

Das Gespräch führten Robert Birnbaum und Stephan Haselberger. Das Foto machte Natalie Nollert.

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