Knaller an der Zeitungsfront

Friday, December 21, 2007

Gospelchor in der Dessous-Boutique (Berliner Zeitung)

Gospelchor in der Dessous-Boutique
Konsumkritik auf Amerikanisch - ein selbsternannter Pastor aus New York wettert mit seiner Kirche gegen die vorweihnachtliche Kaufsucht
Eva Schweitzer

NEW YORK. Wer dieser Tage in New York einkaufen geht, dem kann es passieren, dass er bei der Besichtigung der Ware empfindlich gestört wird. Wenn etwa eine Filiale des Dessous-Spezialisten "Victorias Secret" plötzlich von einem Gospelchor okkupiert wird, der dort seine Loblieder für den Herrn anstimmt, dürfte das bei manchem Besucher durchaus zu Irritationen führen. Genau dies ist so beabsichtigt.

Hinter solchen Aktionen steckt ein Mann, der sich den Kampfnamen Reverend Billy gegeben hat. Eigentlich heißt er Bill Talen. Als Reverend Billy will er die Amerikaner vom "Konsumerismus" abbringen, wie er den Kaufwahn nennt, der speziell in der Vorweihnachtszeit in seiner Heimat die Massen ergreift. Er hat noch ein anderes treffendes Wort für dieses Phänomen gefunden: "Shopocalypse".

Bill Talen warnt vor Marken, Malls und Mickymäusen, die den Menschen eintrichtern, was sie zu kaufen haben. Er ist das Oberhaupt der "Church of Stop Shopping", einer Kirche, die er in New York selbst gegründet hat. Die Idee kam ihm, als er in Hell's Kitchen lebte, einem einfachen irischen Viertel am Hudson River. "Dann kamen die Boutiquen und Kaufhausketten, und Bürgermeister Giuliani ließ Leute verhaften, die nichts auf der Tasche hatten. So hat sich Hell's Kitchen in eine Shoppingmall verwandelt", sagt Talen. Heute wohnt er mit seiner Frau im Stadtteil Brooklyn, in einer Gegend, wo die Läden etwas ärmlicher sind, jedenfalls noch.

Bäume statt Unterwäsche

All die Aktionen der selbst berufenen Kirche haben einen politischen Unterton. "Unseren größten Erfolg hatten wir bei ,Victorias Secret'", sagt Bill Talen. "So viele Kataloge wie diese Wäschefirma verschickt sonst niemand in den USA. Sie drucken Millionen von Heften. Und die machen sie aus Holz, das in unberührten Wäldern in Kanada geschlagen wird, die wichtig sind für das Klima der Erde." Nachdem Talen, seine Frau Savriti und ihr Chor in dem Geschäft gesungen hatten, sei der Geschäftsführer des Unternehmens eingeknickt. Er will nun Kataloge aus recycelten Papier herstellen lassen, glaubt Talen.

Zur Gemeinde der konsumkritischen Kirche zählen vierzig bis fünfzig Menschen, die in New York auftreten, aber auch auf Tour gehen. Sie haben im Rathaus von San Francisco gesungen, im Haus des Kongresses in Washington und vor dem Hauptbahnhof in Berlin. "Wir sind international agierende Clowns", sagt Billy. Im vergangenen Jahr sind sie mit einem Bus quer durch die USA gefahren, um vor Einkaufszentren zu predigen. Mitunter wurden ihre Auftritte von der Polizei beendet. Über die Tour ist nun ein Dokumentarfilm erschienen, der in einem Kino in Manhattan läuft.

Bill Talen ist in Minnesota geboren, einem Land, in dem einst vorwiegend norwegische und deutsche Bauern gesiedelt haben. Sein dichter blonder Schopf deutet auf diese Herkunft. Eigentlich ist er von Beruf Schauspieler und Bühnenautor. Bevor er in sich den Konsumkritiker entdeckte, hat Talen im Theater an der St. Clemens Kirche im Stadtteil Hell's Kitchen gespielt.
Die "Church of Stop Shopping" war zuerst bloß so ein Einfall. "Jeder kann hier eine Kirche anmelden und den Status der Gemeinnützigkeit beantragen, um dann öffentlich zu predigen", sagt Bill Talen. "Man muss nur nachweisen, dass man Follower, also eine Gemeinde hat." Und wie viele Jünger braucht man für eine Kirche? "Das hängt von der Laune des Beamten ab, der den Antrag genehmigt." In New York, mit seinen Immigranten aus allen Ländern, sei religiöse Toleranz wichtig.

Talens Aversion gegen den Kaufwahn steigert sich zu Weihnachten ins Missionarische. "Das amerikanische Christmas wurde eigentlich vom Einzelhandel erfunden, schon vor über hundert Jahren", sagt er. "Santa Claus mit seinem rot-weißem Outfit ist eine Erfindung von Coca Cola. Aber erst mit Ronald Reagan hat sich dieser Konsumerismus überall durchgesetzt. Er ist zu einer Sucht geworden."

Dabei haben Talen und seine Frau Savriti nichts gegen Weihnachten an sich. "Das ist ein schönes Fest, ich liebe Kirchenmusik, und es ist eine nette Geste, sich etwas zu schenken", sagt Savriti. "Nur, muss das immer auch gekauft sein?"

Einmal wurde der Reverend festgenommen, als er eine Aktion im Disney-Laden am Times Square inszenierte, bei der er eine gekreuzigte Mickymaus aus Plüsch mit sich trug. "Manchmal treiben wir auch die Dämonen aus den Ladenkassen aus", erzählt er. "Wir erklären den Kassiererinnen, dass wir auf ihrer Seite sind und dass wir ihnen eine starke Gewerkschaft wünschen. Dann legen wir eine Hand auf die Kasse", Talen macht es vor, "und die andere Hand strecken wir in die Luft und beten laut, dass das Geld weg von den Konzernen fließt, hin zu den einfachen Leuten."

Samtene Revolution

Konzeptionell sieht sich Talen als Reverend Billy in der Tradition der wiedergeborenen Evangelikalen, die ihre Gemeinden anfeuern, die niederfallen und die Apokalypse beschwören. "Ich liebe dieser Art amerikanischer Kultur", sagt er. Weil er sie so sehr liebt, kann er sie auch perfekt parodieren. Aber das Singen nimmt der Chor ernst. "Danach fühlt man sich besser", sagt er.

Seinen Lebensunterhalt verdient das Paar mit Lehraufträgen an Universitäten; manchmal bekommen sie auch Stipendien. Der Chor wird oft von Veranstaltern gebucht.
Glauben sie denn, dass sie etwas ändern können? "Sicher", sagt Talen. "Es wird eine samtene Revolution geben, denn die Mittelklasse ist praktisch kollabiert." Es gebe in den USA nur noch Reiche und Arme. In den USA gilt es als Form von Demokratie, dass man alles kaufen kann. Nur wer kein Geld hat, muckt auf.

Berliner Zeitung, 21.12.2007

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