Knaller an der Zeitungsfront

Wednesday, January 02, 2008

Der lange Schatten der DDR (Sächsische Zeitung)

Sächsische ZeitungFreitag, 28. Dezember 2007
Der lange Schatten der DDR
Von Freya KlierAlte

DDR-Eliten und ihre jungen Zöglinge haben längst wieder demokratische Institutionen infiltriert oder überwintern mit satten Pensionen. Die Schrecken des Sozialismus werden verklärt.

Ahnungslose Studenten
Anfang der 70er-Jahre - ich war an der Leipziger Theaterhochschule für das Fach Schauspiel immatrikuliert - kamen wir Studenten mit den Regiemethoden des berühmten russischen Theaterleiters Wsewolod Meyerhold in Kontakt. Eine Menge lernten wir über dessen Avantgardismus, seine Biomechanik, das ungewöhnliche Trainingsprogramm für Schauspieler. Damals ahnten wir nicht, dass der Name Meyerhold überhaupt erst seit der sowjetischen Tauwetterperiode 1956 wieder genannt werden durfte. Und niemand erwähnte, was diesem hoch begabten Theatermann widerfahren war ... was ihm die „ultraroten Kapitalisten“, wie Majakowski die neue sowjetische Bonzenschicht nannte, angetan hatten: Meyerhold starb 1940 unter der sozialistischen Folter.

Waren die beiden nicht anfangs selbst noch glühende Verfechter einer besseren ... einer kommunistischen Welt gewesen? Für ein paar Jahre durchaus. Doch dann folgte der rasante Sturz in die Realität: 1929 fiel Meyerhold erstmals in Ungnade - er hatte ein sowjetkritisches Stück Majakowskis inszeniert, eine grimmige Abrechnung mit Stalins Funktionärsbürokratie. Ein Jahr später erschoss sich sein Freund Majakowski.

Meyerhold aber musste die große Verhaftungs- und Mordorgie der 30er-Jahre miterleben. Fast 2000 Mitglieder des russischen Schriftstellerverbandes wurden als Volksfeinde in Konzentrationslager deportiert. Oder man richtete sie hin - so wie Boris Pilnjak, Juri Olescha und Isaak Babel, der vor seiner Erschießung noch schwer gefoltert wurde. 1940 traf ein solches Schicksal auch Wsewolod Meyerhold.

Wir Schauspiel-Eleven der 70er-Jahre ahnten nicht, auf welchem Leichenberg der Sozialismus bereits stand, als er uns als humanistischste aller Gesellschaftsordnungen eingebläut wurde, als positive Gegenwelt zum kapitalistischen Westen. Und woher sollten wir wissen, dass Meyerholds Schicksal nur den winzigen Ausschnitt eines sozialistischen Massenmordens darstellte, das - während wir fleißig studierten - gerade halb Asien in Angst und Schrecken versetzte?

Das Fortwirken der Stasi
Inwieweit sind Geist und Strukturen des DDR-Geheimdienstes ins vereinigte Deutschland eingesickert? Sichtbar war: Aufklärer und DDR-Widerständler kamen 1990 nur schwer aus dem Startloch. Die Mauer blockierte ihnen den Kopf, es ging zu schnell mit der Einheit, die meisten wollten erst einmal eine erneuerte DDR. Demokratisch sollte sie sein. Und die systemtreuen Lehrer? Der Westen verbeamtete sie, so gut es ging - als Belohnung für ihre Erziehung junger Menschen zu Lüge und Demokratiefeindlichkeit. Das Lügen setzen sie seitdem fort, etwas geschickter und finanziell gut abgepolstert; denn auch im vereinten Deutschland kann man Schülern die DDR als solidarische Menschengemeinschaft schildern, die BRD dagegen als eiskalt ... Und immer wieder dieser Ruf nach Verjährung und Schlussstrich, der durch die Lande schallte. Ein wahres Gnadenfieber hatte die westliche Öffentlichkeit erfasst. Takt und Ton gaben dabei die Stolpes und de Maizières, die Gysis und Diestels vor; im Westen halfen Genossen wie Egon Bahr kräftig nach. Schon 1995, nach nur dreijährigem Bestehen, konnten wir die Schließung der Gauck-Behörde nur noch unter Anspannung aller Kräfte verhindern.

Geschichtsvergessenheit
Nachdem die Gauck-Behörde gerettet war, blieb doch ein anhaltendes Unbehagen. Einer hatte sich da hineingewagt, in außerordentlicher Tapferkeit: der Schriftsteller, Psychologe und DDR-Dissident Jürgen Fuchs. Er ließ sich eine Zeit lang als Mitarbeiter einstellen, um das Archiv von innen zu beurteilen. Im April 1992 war Dienstbeginn, ein Jahr wollte Jürgen Fuchs durchhalten. Es wurde ein quälender Ort: Recherche, Papierberge und Notizen, Tappen zwischen Nichtigkeiten und Verbrechen - ein Ort, der den hochsensiblen Schriftsteller fast erdrückte: „Schon der gestrige Tag hat vielleicht gar nicht existiert“, notierte er und erinnerte daran, was vor den Dokumentenbergen war, in den Wegschließorten der Staatssicherheit: die Zellen, die Verhöre, die leisen Methoden der Quälerei von Gefangenen, das Widerstehen, die Augenblicke des Zusammenbruchs ... Jürgen Fuchs, Ende der 70er-Jahre selbst Häftling in Hohenschönhausen, beschreibt damit schon den ganzen Wende-Vorgang: „Erinnerung ist Krankheit, Empfindsamkeit, Pathologie. Wichtig sind jetzt Organisation, Ordnung, Effizienz, Abwicklung, Aufbau, Umbau, Aufarbeitung, Dienstführung, Auswertung ... SIE haben schon alles aufgeschrieben, sieh nur ihre Archive, Fabrikhallen voller Vorgänge ...“

Der Literat tat sich diese Tortur an, um Häftlingen, die man misshandelt hatte und die nichts beweisen konnten, zur Seite zu stehen. Um herauszufinden, warum es in seinem Umfeld so merkwürdige Todesfälle gab. Jürgen Fuchs war auch der Erste, der die in die Gauck-Behörde eingeschleusten Stasi-Mitarbeiter bemerkte: sogenanntes Wachpersonal, eine Militärhistorikerin aus der DDR, eine Dame aus der Kaderabteilung der Mitropa, eine Reihe merkwürdiger Gestalten in den Archiven. Er erkannte sie an ihrer Sprache ... ihren misstrauischen Blicken - denn auch sie wussten, wer er ist. Ein Jahr lang reichte man einander Richtlinien und Merkblätter zu ...

„Jetzt triumphiert das Besserwissen“, notierte Fuchs im kurz vor seinem Tod erschienenen Buch „Magdalena“. „Unschuldsmienen sitzen in Talkrunden und ,reden mal darüber‘, bezeichnen sich als Insider und Sachverständige, veröffentlichen Kochrezepte, wollen die letzten Beweise sehen, tragen Gesetzbücher unter dem Arm, juristische Kommentare und Grundbucheintragungen ...Was denn? Was war denn, es wurden Fehler gemacht wie überall, aber ansonsten ... So viele Mitläufer, Funktionäre und verspitzelte Schreibtischtäter kommen selten zusammen auf so wenigen Quadratkilometern ...“ Achtzehn Jahre sind seit dem Mauerfall ins Land gegangen, doch die Schatten der Vergangenheit verschwinden nicht, sie sitzen mit am Tisch. Noch immer ist das deutsch-deutsche Miteinander ein qualvolles Mäandern, es waren der Vereinigungsfehler einfach zu viele ...

Und wir stoßen auf Herrn Gysi, den Frontmann der SED/PDS, samt seinen schillernden Metamorphosen: Bis 1989 ein zuverlässiges Werkzeug der sozialistischen Diktatur, offeriert er zum Mauerfall Egon Krenz als Retter der DDR. Als da keine Rettung mehr ist, bläht Gysi sich zum Bürgerrechtler auf. Nach diesem missglückten Coup wird er plötzlich Jude und wirft seinen Kritikern Antisemitismus vor. Danach beginnt der Genosse, die Linksmasche zu stricken, und die hat schon vom Wortlaut her mehr Aussicht auf Erfolg. Er bestimmt von nun an, wer mit ihm in einer Talkshow sitzen darf und wer nicht. Und nachdem der Immunitätsausschuss des Bundestags seine Stasi-Verstrickung untersucht hat, wird eben dieser Bundestag gerichtlich zum Schweigen gebracht ... Inzwischen schreiben wir das Jahr 2007. Inzwischen ist der Westen von Gysi & Genossen komplett niedergeklagt, auch Fernsehsender und Printmedien.

Fast alle kuschen. Journalisten und Politiker raunen einander zu, wie man die Wahrheit über Herrn Gysi so formuliert, dass der Prozesshansel einen nicht vor Gericht zerren kann. Am liebsten lässt man ganz die Finger davon und hält sich mutig an einem Eiskunstläufer schadlos ... Ist die Demokratie ein Tanzmausverein?

Schon hat die Partei des Sozialismus durch einen weiteren Namenswechsel ihre Geschichte abgestreift - der Wähler honoriert diese sehr deutsche Tradition spontan mit zehn Prozent plus ... So könnte es weitergehen. Und kräftig wird nun auch wieder für den Sozialismus getrommelt ...

Was ist Sozialismus?
Karl Marx malte ihn als Schreckgespenst an die Wand, die K-Gruppen haben ihn beim Rotwein genossen. Die russische Bevölkerung aber, halb Asien und die Völker Osteuropas mussten ihn aushalten, darunter wir Ostler. Deshalb haben wir genug davon. Denn Sozialismus ist ja nicht der positive Gegenentwurf zum Kapitalismus, er ist seine Steigerung: „Sozialismus“, so haben wir leidvoll erfahren müssen, „ist kapitalistische Ausbeutung plus geistige Unterdrückung!“ Ist alles beliebig, was war - Schnee von gestern?

Es sollte noch interessieren, dass die SED/PDS/Die Linke bereits ein Land in den Ruin gewirtschaftet hat! Und ausreichen, was ihre Genossen Menschen angetan haben, die sich nicht wehren konnten, um sie endlich von politischer Macht fernzuhalten. Seit den Tagen, da an der Berliner Mauer der Klimmzug zur deutschen Hauptsportart wurde, tobt um unsere Geschichte ein Kampf. Es ist kein Interpretationsgefecht, sondern ein Ringen, bei dem es auch um die nächste Generation geht. Wird im Jahr 2010 die Verklärung eines Unrechtsstaates bereits so weit fortgeschritten sein, dass er als humanistischer Silberstreif in den Köpfen unseres Nachwuchses nistet, vor Jahren überzogen vom kapitalistischen Sumpf?

Gerade erst ist ein Hotel eröffnet worden, in Ost-Berlin, nicht weit entfernt vom Ostbahnhof. Ein Hotel, ganz ungeniert auf DDR getrimmt: Honecker-Bilder hängen über den Betten, die Tapeten erinnern an „Good Bye, Lenin“. Vielleicht gibt es zum Frühstück ein Tässchen Mocca-Fix, serviert in einer Mitropa-Tasse? Vermutlich trägt der Portier eine Hausmeisterjacke aus dem Palast der Republik, gibt es Handtücher aus Malimo und für die Köchinnen Kittelschürzen aus Dederon ...

Ganz sicher aber existiert dort eine Stasi-Suite, mit passendem Interieur. Der besondere Kick: Hier werden Wanzen versteckt, so wie Ostereier. Wer von den Gästen eine aufspürt, bekommt ein Freigetränk ... Das Ostalgie-Hotel erfreut sich großer Beliebtheit, vor allem bei Besuchern aus dem Westen. Natürlich gibt es auch andere, die meinen, man solle die Bude schließen. Aber warum?, frage ich. Kann sich in einer Demokratie nicht jeder einquartieren, wo er will - wieso nicht in einem Hotel, das nach DDR riecht? Doch riecht es da überhaupt nach DDR? Werden die Linoleumböden tatsächlich mit diesem unverwechselbaren Reinigungsmittel gewienert, das wir DDR-Bürger noch immer in der Nase haben? Riecht es nach fetter Braunkohle, wenn man die Fenster öffnet? Ist das Leitungswasser wieder so, dass man es besser nur abgekocht trinkt? Ich bezweifle das.

Man stelle sich vor, das Hotel wäre tatsächlich ein Stück DDR: Solch bösartiges, machtbewusstes Personal wünschte ich noch nicht einmal dem blödesten Wessi. Man würde ihn platzieren - an einem Frühstückstisch, an dem sich die Leute schon drängen, während an zwei Dritteln der Tische gähnende Leere herrscht. Die Toiletten wären verstopft, vom Telefon im Erdgeschoss aber baumelte nur eine Schnur herab, und das schon seit zwei Tagen. O doch, Handwerker kämen irgendwann, doch nur, wenn ein Gegenwert für sie bereitliegt: Ofenkacheln zum Beispiel oder ein Autoersatzteil, frei nach dem DDR-Motto: Suche Hammer, biete Kneifzange! ...

Man kann nun schon mitverfolgen, wie die Urlaubslaune in den Keller rutscht. Nach wenigen Tagen wären die DDR-Fans so zermürbt, dass sie sich nach Hause sehnen. Wenn sie dann aber aufatmend in ihren Heimatorten angelangt sind, holt sie die DDR erst richtig ein: In ihrem Unternehmen teilt man ihnen nämlich mit, sie seien mit sofortiger Wirkung entlassen! Wieso?, fragen sie mit entgleisenden Gesichtszügen. Sie hätten geschäftsschädigende Witze gerissen, hören sie nun - Witze über den Chef und das Unternehmen. Sie leugnen entsetzt. Doch in ihr Gestammel hinein, dass das überhaupt nicht sein könne, dämmert ihnen, dass sie ja genau das getan haben - Witze gerissen über ihren Chef, vielleicht auch den Betrieb. Aber wo ... in Ost-Berlin? War das nicht in diesem DDR-Hotel, wo sie insgesamt ein bisschen zu aufgedreht waren? Bei welcher Gelegenheit haben sie dort Witze gerissen - etwa beim Plausch mit dem Portier, der sich so freundlich gab? Oder am Frühstückstisch, wo sie neben einem netten Ehepaar saßen? Sie werden es nie erfahren. Doch ihre Liebe zur DDR dürfte nun ein wenig abgekühlt sein

Klier lebt heute als freischaffende Autorin und Filmregisseurin in Berlin. Neben der DDR-Vergangenheit und ihrer Bewältigung gehören auch die Nationalsozialistische Diktatur in Deutschland und der leninistisch-stalinistische Sozialismus in Deutschland und Russland zu ihren bevorzugten Themen.

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