Knaller an der Zeitungsfront

Friday, January 04, 2008

"Elemente von Propaganda" (Berliner Zeitung)

EXPERTE
"Elemente von Propaganda"
Der Kommunikationswissenschaftler Thymian Bussemer zählt zu den führenden Propaganda-Experten in Deutschland. Er bezweifelt, dass Roland Koch im Landtagswahlkampf in Hessen auf die richtige Strategie setzt.

Herr Bussemer, wo verläuft die Grenze zwischen Wahlkampf und Propaganda?
Propaganda setzt ein starkes Alleinstellungsmerkmal voraus. Dort wo der Gegner die Möglichkeit hat, sich mit den selben Mittel kommunikativ zu positionieren, kann man eigentlich nicht von klassischer Propaganda sprechen.

Die auf kriminelle jugendliche Ausländer zugespitzten Kampagne des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch gehört also zum üblichen Wahlkampfarsenal?
Nun ja, Wahlkämpfe können in Demokratien zwei grundlegende Funktionen wahrnehmen. Das eine ist, zentrale gesellschaftliche Themen so aufzubereiten, dass die Leute sie verstehen. Wenn man so will, sind das die Sternstunden der Demokratie. Das Ganze kann aber auch umkippen in populistische Verführung. Da fällt natürlich das Thema Ausländer darunter. Wenn ich das richtig sehe, ist Ausländerrecht ganz überwiegend Bundessache. Und da hat ein hessischer Ministerpräsident nur sehr bedingten Einfluss. Das hat dann natürlich doch Elemente klassischer Propaganda.

Inwiefern?
Eine Zentralstrategie von Propaganda ist, Leuten Pseudoprobleme vorzusetzen. Das funktioniert über die Aneinanderkettung von Begriffen und damit verbundene Assoziationen. Ausländer und Kriminalität, zum Beispiel. Roland Koch hat derzeit schlechte Umfragewerte, also versucht er über den Aufbau denunzierender Fremdbilder, Stimmung zu machen. Aber das sind wir von Koch gewöhnt. Die eigentlich interessante Frage ist, wie weitreichend solche Strategien sind.

Wie weitreichend sind sie denn?
So wie ich mir die Bundesrepublik derzeit vorstelle, frage ich mich, wen man mit dieser Ausländerkriminalitätsdebatte eigentlich noch hinterm Ofen hervorholen will? Und warum nach sieben Jahren Otto Schily konservative Strategen immer noch glauben, das sei eine Domäne, in der nur sie reüssieren könnten.

Immerhin ist Roland Koch mit der Unterschriftenkampagne gegen die Doppelte Staatsbürgerschaft 1999 Ministerpräsident geworden.
Ich weiß aber nicht, ob das Thema derzeit die Durchschlagskraft hat, um dauerhaft gegen die Gerechtigkeitsdebatte anzukommen. Auf mich wirkt das wie ein Alt-Reflex. Ausländer und Sicherheit sind seit jeher der Markenkern der hessischen CDU. Koch ist durchaus ein erfolgreicher Ministerpräsident. Eine Strategie der liberalen Modernisierung schien mir wesentlich tragfähiger, wenn ich mir die Wählerstruktur in Hessen so anschaue.

Koch sagt, er spreche aus, was eine schweigende Mehrheit denke.
Diese Behauptung hat die CDU schon 1976 im Wahlkampf angewandt. Allerdings habe ich schon das Gefühl, dass die Entfremdung von Politik und Bevölkerung sehr groß geworden ist. Und dass viele Leute längst neben den politischen Tagesdebatten stehen. Aber schweigende Mehrheiten gibt es in Demokratien meiner Meinung nach nicht.

Wie müssten die Massenmedien mit solchen Kampagnen umgehen?
Medien sind so strukturiert , dass sie diese politischen Kampagnenthemen brauchen, um selber zu funktionieren. Egal, welche Position sie dazu einnehmen, verstärken sie diese Geschichte erst einmal.

Das Thema Mindestlohn ist jedenfalls für einige Tage ins zweite Glied gerückt. Insofern hat es sich für Koch doch schon gelohnt. Oder nicht?
Das ist aber, wenn überhaupt, ein sehr kurzfristiger Gewinn. Die Frage ist, was der Mann sich und seinem Ruf zum Machterhalt antut. Staatsmännisch ist das jedenfalls nicht.

Das Gespräch führte Boris Herrmann.
Berliner Zeitung, 04.01.2008

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