Knaller an der Zeitungsfront

Monday, January 28, 2008

Der liebenswerte Despot (Tagesspiegel)

Der liebenswerte Despot
1968 sang Adriano Celentano seinen Sommer-Blues „Azzurro“. Heute wird er 70. Und bleibt ein Superstar
Von Paul Kreiner, Rom 6.1.2008 0:00 Uhr

Eine schräge Sache, dieses italienische Fernsehen. Da läuft, mit zahllosen leicht bekleideten Mädchen, eine Dudel-Show nach der anderen, aber was die Zuschauer tatsächlich vom Hocker reißt, ist etwas ganz anderes. Die absolut höchste Einschaltquote 2007 erzielte der fünfte Höllengesang aus Dantes „Göttlicher Komödie“, vorgetragen von Roberto Benigni. Und gleich dahinter folgte, Ende November, die nächste Höllenfahrt: Adriano Celentanos Show mit dem sperrigen Titel „Die Lage meiner Schwester ist nicht gut“.

Auf den Spuren des italienischen Nationalheiligen Franziskus beklagt Celentano das Los von „Schwester Erde“, predigt in den für ihn typischen langen, bedächtigen Monologen gegen die Umweltverschmutzung, gegen die Gewalt in den Fußballstadien, gegen die „Zerstörung des Schönen“ durch moderne Stadtarchitektur und lockert alles auf mit den Songs aus seiner neuen CD, die dank dieser massiven Eigenwerbung seit November ebenfalls ununterbrochen unter den italienischen Top Ten rangiert.

Noch mehr Zuschauer – jetzt 33 Prozent, damals im Durchschnitt 46 Prozent – hatte Celentano 2005 mit den vier nahezu abendfüllenden Folgen der „RockPolitik“ erreicht, die nicht nur eine selten hochprofessionelle, tiefgründige Unterhaltung waren, sondern in der Hauptsache eine geistsprühende Wahlkampagne gegen Silvio Berlusconi – der zuständige Programmdirektor beim Staatsfernsehen RAI trat vorsichtshalber von sich aus zurück, bevor ihn der Bannstrahl des damaligen Regierungschefs traf.

Am heutigen Sonntag nun wird Adriano Celentano siebzig Jahre alt. „Il Molleggiato“, den „Federnden“, nennen sie ihn, seines weichen, tänzelnd-geschmeidigen Bühnenganges wegen, aber dass der gebürtige Mailänder vor seinem Alter oder vor irgendjemandem in die Knie gehen würde, ist nicht zu erwarten. „Rebellieren“ werde er weiterhin, sagte der Sänger erst am Freitag in einem seiner raren Interviews, „gegen jene, die nur ihre eigenen Interessen verfolgen, gegen die Machtpolitik, gegen die niedrigen Löhne der Arbeiter“.

Begonnen hatte Celentanos Karriere in den Fünfzigerjahren, als der Sohn apulischer „Gastarbeiter“, der Schulabbrecher und Uhrmacherlehrling, in einem Mailänder Kino den amerikanischen Rock'n'Roll kennenlernte. Seine Band trat mit beträchtlichem Erfolg schon 1957 beim ersten italienischen Rockfestival überhaupt auf, und als Celentano neben seiner musikalischen Begabung auch noch sein Talent für den Slapstick entdeckte, war in ihm der Bühnenkünstler schlechthin geboren.

1960 lud ihn Federico Fellini ein, als römischer Salon-Rocker in „La Dolce Vita" aufzutreten; da spielte Celentano sich praktisch selbst. Eigene Filme folgten, Komödien und Ulkstreifen vor allem: „Ein seltsamer Typ", „Yuppi Du", „Der große Bluff", „Gib dem Affen Zucker" und viele andere.

Und dann 1968, der Hit schlechthin. Vito Pallavicini dichtete, Paolo Conte schrieb die Musik mundgerecht exakt für Adriano Celentano – und dieser sang, erkältet, wie er gerade war; das verlieh seiner Stimme dieses ganz besondere Timbre. So entstand „Azzurro". Es ist bis heute die inoffizielle italienische Nationalhymne geblieben.

Hinter Celentanos Erfolg stecken natürlich eine geradezu industrielle Ideenschmiede, ein perfektes Marketing und gefürchtet-knallharte Vertragsverhandlungen. Es handelt sich um eine nach außen so gut wie geschlossene Festung, sie nennt sich „der Clan". Herr im Haus ist nicht allein Celentano, der intern durchaus als „Despot" gilt, sondern vor allem seine Frau, die Schauspielerin Claudia Mori. Seit mehr als 43 Jahren sind die beiden verheiratet – auch dies eine Langzeitkonstante im Leben Celentanos, und eine recht seltene unter Spitzenstars.
(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 06.01.2008)

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