Knaller an der Zeitungsfront

Thursday, October 11, 2007

Zwischen zwei Deckeln (Tagesspiegel)

Zwischen zwei Deckeln
Das Buch lebt. Besser denn je, trotz Internet und Fernsehen. Die Zahlen jedenfalls lesen sich fantastisch: Jeder Deutsche kauft im Jahresschnitt zehn Bücher. Über 90.000 Neuerscheinungen gibt es in diesem Jahr in Deutschland. Doch viele Buchhändler sind in Sorge - nur wenige Bücher sorgen für die großen Umsätze.
Von Gerrit Bartels 10.10.2007 0:00 Uhr

2006 ist der Umsatz der Branche leicht gestiegen, und die bevorstehende Veröffentlichung der deutschen Ausgabe des letzten Harry-Potter-Bandes verspricht für 2007 ein weiteres Umsatzplus. Auch die 59. Frankfurter Buchmesse, die gestern Abend eröffnet worden ist, verzeichnet wieder einmal mehr Aussteller, erwartet wieder einmal mehr Besucher als in den Jahren zuvor. Sie stößt, wie es ihr Direktor Jürgen Boos stolz verkündet, mit aller Kraft an ihre Wachstumsgrenze.

Also alles in bester Ordnung? Viele Buchhändler und Verlage sehen das keineswegs so. Nur wenige Bücher sorgen für die ganz großen Umsätze, wie eben Harry Potter, der gleich die Jahresbilanz rettet, wie das Papstbuch oder Hape Kerkelings Wanderschaft. Schwerer noch wiegt der radikale Wandel des Buchmarktes. Die Expansion der Buchhandelsketten wird nicht nur vom alteingesessenen Buchhandel mit Sorge betrachtet, sie verschiebt auch das Kräfteverhältnis zu Lasten der Verlage. Die zwei größten Ketten, die DBG-Gruppe (Weltbild/Hugendubel) und Thalia, setzen mehr um als Random House, Hanser und Suhrkamp zusammen, rund 1, 4 Milliarden Euro im Jahr.

Jedes vierte Buch in Deutschland wird in einem Kettengeschäft gekauft. Dass das Angebot immer gleichförmiger wird, lässt sich schon jetzt beobachten. Kleinere Verlage haben es schwer, überhaupt noch ihre Bücher in diese Läden zu bekommen. Die Gefahr ist groß, dass die Ketten eines Tages den Verlagen vorschreiben, was sie tun sollen – von der Art und dem Inhalt der verlegten Bücher bis hin zur Covergestaltung. Dazu kommt ein anderer Effekt: Bestseller verkaufen sich nicht nur gut, sondern auch schnell, sie verursachen keine Lagerkosten. Nur planen lassen sie sich immer noch nicht genau. Die Bücher, die sich nicht verkaufen, gehen an die Verlage zurück, werden von diesen dann aber verramscht – um Lagerkosten zu sparen. Das wiederum sorgt nicht nur für eine Unterminierung der Buchpreisbindung, sondern auch für geizig-geile Discount-Stimmung bei den Käufern.

Das berühmte gute Buch, das traditionelle Kulturgut, lebt vor diesem Hintergrund mehr schlecht als recht. Sein Warencharakter bringt es schnell in die Nähe von Elektronik- oder Baumärkten. Davon legt auch die Frankfurter Buchmesse von Jahr zu Jahr mehr Zeugnis ab. Nicht nur, dass Frankfurt sich inzwischen gern als „weltbedeutendste Medienmesse“ bezeichnet – wobei die dicken Geschäftsabschlüsse schon lange nicht mehr vom großen Frankfurter Get-Together abhängen. Tatsächlich sind dreißig Prozent der ausgestellten Produkte bereits digitaler Natur. Der Umsatz der Buchhandlungen mit sogenannten Nonbooks liegt schon zwischen fünf und zehn Prozent.

Ja, das Buch lebt, aber nicht mehr ausschließlich in seiner unübertroffenen Handlichkeit; mit einem Deckel vorn und hinten und dazwischen eine Anzahl bedruckter Seiten aus Papier. Das Buch zeigt sich inzwischen in den verschiedensten Erscheinungsformen. Unter dem Druck der Digitalisierung der Medienwelt hat es sich selbst multimedialisiert. Für ein Spektakel wie die Frankfurter Buchmesse bildet es bald nur noch den allgemeinen Bezugspunkt. Denn vom Buch allein kann die Buchmesse – ebenso wie Buchhändler und Verlage – immer weniger existieren.

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 10.10.2007)

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