Knaller an der Zeitungsfront

Saturday, October 06, 2007

Ein Wiener erklimmt den Gipfel der Welt /Welt)

5. Oktober 2007
Von Tilman Krause
Daniel Kehlmann
Ein Wiener erklimmt den Gipfel der Welt
Mit seinem Bestseller „Die Vermessung der Welt" hat Daniel Kehlmann fast vergessene Helden populär gemacht: Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß. Für seinen urkomischen Roman erhält er nun den WELT-Literaturpreis. WELT ONLINE hat den Autor in Wien besucht.
Aufgalopp Opus eins, Satz eins: „Unsere seltsame Leidenschaft für erhöhte Standpunkte!“ So beginnt das Werk von Daniel Kehlmann. So zog sich ein Zweiundzwanzigjähriger vor nunmehr zehn Jahren am eigenen Schopf aus dem Magma der Hochbegabung und formte, schmiedete sein erstes Buch. Erhöhter Standpunkt? Ach was, ganz oben ist er inzwischen!

„Die Vermessung der Welt“, dieser Experimentalroman über Größe und Komik der deutschen Klassik am Beispiel der beiden Naturwissenschaftler Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß, „Die Vermessung der Welt“ also ist längst top of the top. Mehr als eine Million verkaufter Exemplare, allein im Hardcover. Übersetzungslizenzen für 37 Sprachen. Das meistverkaufte Buch des Rowohltverlags überhaupt.

Dichterstübchen im Wiener Neusachlichkeitsbau
„Sobald es einen Hügel gibt, drängen die Menschen hinauf“, heißt es weiter in Kehlmanns Opus 1. Und so drängen auch wir. Es drängt sich die Welt in vielerlei Form heran und herauf, um den Überflieger, Rekordbrecher, Jungmeister zu erleben, zu begreifen, zu bewundern, zu belobigen. Doch ganz nach oben gelangen wir nicht.

Daniel Kehlmann, dem das Megamäßige seines Erfolgs mitunter selbst noch ein wenig mirakulös zu sein scheint, ist schon beschäftigt mit Abwehrzauber. Ich bin’s nicht, will er uns sagen und schreibt eine ganze Poetikvorlesung zu diesem Punkt, ich bin gar nicht so wichtig. Oder, gern auch auf Englisch: „Nothing ever happens to a novellist.“ Nehmt nur mein Buch, meint das, da habt ihr doch, was ihr braucht.

Aber unsere seltsame Leidenschaft für erhöhte Standpunkte! Erhöhtes und Erhörtes überhaupt, Unerhörtes schon gar! Und so lassen wir denn natürlich nicht locker. Nimmt er uns nicht mit in sein Türmerstübchen im ersten Hochhaus von Wien, einem Neusachlichkeitsbau aus den Dreißigerjahren ohn’ alle Ringstraßengleisnerei, dann müssen wir eben drunten sitzen – nicht drunten sterben immerhin und auch nicht drunten in der Wachau, dafür im Café Griensteidl, gegenüber dem zwölfstöckigen Hochbau der Herrengasse im ersten Bezirk.

Wien ist die Stadt seiner Alpträume
Das ist ja auch beziehungsreich genug. Café Griensteidl, Treffpunkt Jungwiener Hochbegabter um 1900, an dem schon ein gewisser Hugo von Hofmannsthal, damals noch Loris genannt, angetrieben von seinem seltsamen Vorfrühlingswind, ganz groß herauskam¿

Das Café Griensteidl also. Logisch. Kehlmann mag zwar unwienerisch wohnen, mag früh dem österreichischen Buchmarkt Adieu gesagt haben, um sich erst mit Suhrkamp, dann mit Rowohlt zu verbandeln; er mag auch bald seinem Traum, „eine Bleibe in mehreren Städten“ zu haben, gefolgt sein und sich beispielsweise in Berlin, am Chamissoplatz, eine Wohnung im herrlichen hiesigen Laubenpieper-Klassizismus zugelegt haben: Aber es ist eben doch die alte, schöne Wienerstadt, die ihn geprägt hat. Da ist er zu Haus, da kennt er sich aus.

Aber Wien, das ist Kehlmann der inzwischen obligaten Melodie vom Überdruss an seinen Bewohnern natürlich schuldig, Wien also ist ihm nicht nur Stadt seiner Träume, sondern auch der Albträume. Darunter rechnet er einerseits, auf die Gegenwart bezogen, die Hinterhältigkeit, die hier herrsche. Und mit dem Stolz des Eingeweihten kontert er den Hinweis, Hinterhältigkeit gebe es auch anderswo, prompt perfid schlagfertig: „Aber hier sind sie wirklich gut darin.“ Das müssen wir wohl zähneknirschend akzeptieren.

Sein Verhältnis zu Musil ist ein gespaltenes
Doch es sind noch Albträume anderer Art, die sich mit der Wienerstadt verbinden, für einen, dessen halbe Familie großelterlicherseits im Holocaust umgekommen ist, der nicht nur aus Büchern, sondern auch aus den Erzählungen der Überlebenden weiß, welche Fratze diese Stadt zeigen konnte, wie schnell nach 1938 Heiterkeit und Lebensfreude grausamer Inhumanität gewichen sind.

Das geht auch an einem Nachgeborenen nicht spurlos vorüber, an einem Kind des demokratischen Zeitalters, das noch dazu mit den Privilegien eines verständnisvollen Künstlerhaushalts aufwuchs: Kehlmanns Mutter war Schauspielerin, sein Vater Fernsehregisseur (die maßgebliche Verfilmung von Joseph Roths „Radetzkymarsch“ geht auf ihn zurück).

Und so ist denn auch sein Verhältnis zu Wien, sogar zur Wiener Literatur, ein „kompliziertes, gespaltenes“, wie er sagt. Nein, ein unumwundenes Bekenntnis zu beispielsweise Musil bekommt man von ihm nicht. Schon gar nicht zu Doderer. Am ehesten noch zu Karl Kraus. Dessen Medienkritik, dessen sprachlicher Purismus hätten ihn stark geprägt, betont er.

Kräftemessen mit den großen Genies
Und wenn dieser konziliante junge Mann, für dessen Auftreten einem vielleicht zuerst das Prädikat „gut erzogen“ einfällt, wenn Kehlmann also auf Karl Kraus zu sprechen kommt, dann umwölkt sich doch für eine Sekunde seine glatte Stirn, wirft Falten quer, denn er stellt klar: „Das macht den Kraus auch heut’ noch aktuell, dass er gesagt hat, die Trennung von Anzeigenteil und Berichterstattung sei eine Fiktion; Medien, die glauben, sie könnten die Politik mitübernehmen, eine Gefahr für die Demokratie.“ Hört, hört!

Jedoch Signale, die wir noch lieber hören wollen, kommen mit der gleichen geläufigen Eloquenz. So richtig in Fahrt und in Stimmung gerät Kehlmann nämlich dann beim Thema Literatur. Unsere seltsame Leidenschaft für erhöhte Standpunkte! Hier kommt sie eben doch am meisten auf ihre Kosten.

Das Rätsel von Kehlmanns Erfolg – ganz gelöst wird es vielleicht niemals werden. Aber einen Faktor wird man wohl doch klar benennen können. Es ist diese unbefangene Bereitschaft, vor den höchsten Gütern der Nation nicht haltzumachen, sich selbst in ein Verhältnis zu setzen zu den Gipfeln. Eine Zeit, die sich nach Jahrzehnten der Dekonstruktion des Genialen wieder bejahend den Glanzleistungen der Kultur nähern will, wird eben mit der „Vermessung der Welt“ besonders gut bedient.

Sein literarischer Pate ist Thomas Mann
Nicht weil dieser Roman erzählen würde, wie es eigentlich gewesen ist in jenem historischen Moment deutscher Weltfähigkeit während der berühmten paar Jahrzehnte, welche deutsche Klassik und Romantik umfassen. Auch nicht, weil hier endlich einmal die andere Seite der deutschen Klassik, will sagen, die Naturwissenschaften mit ihrem erdumspannenden Elan in jener Zeit gewürdigt wird. Nein, was Kehlmanns bisher bedeutendsten Roman so unwiderstehlich macht, ist, dass er Sinn hat für Größe und Komik zugleich.

Und an dieser Stelle kommt man nun doch nicht umhin, den literarischen Erz- und Hauptpaten von Kehlmanns Vermessung (und Vermessenheit) ins Spiel zu bringen. Es ist kein Geringerer als Thomas Mann. Denn ihm verdankt Kehlmann das Verfahren jener „affirmativen Parodie“, wie er es selber nennt, mit dem er hier Humboldt und Gauß zu Leibe rückt, während Thomas Mann es vor allem Goethe angedeihen ließ.

Erbrochenes auf dem Cimborazo
„Das ungeheure Ausmaß des literarischen Gelingens in der deutschen Klassik, dazu die hohe humane Gesinnung, die damals an den Tag gelegt wurde – erträgt man sie im Grunde nicht nur, wenn man auch ihre Komik sieht? Eine Komik, die vor allem in der Negation der Niedrigkeiten liegt. Thales und das Wasserloch! Man betrachtet die Sterne und fällt ins Wasser. Humboldt und Bonpland! Man besteigt den Chimborazo – und erbricht sich ständig, so sterbenselend ist einem. Doch das darf nicht zur Sprache kommen, das erlaubt der deutsche Souveränitätston nicht. Ist das nicht komisch? Diese drastische Entschlossenheit zum Gelingen, die bei Alexander von Humboldt, dieser Kreuzung aus Don Quixote und Hindenburg, über Indianerleichen geht, das ist doch komisch!“

Ja, das ist komisch. Aber es handelt sich in dem so immens gekonnt disponierten Erzählwerk „Die Vermessung der Welt“ um eine Komik, die nicht denunziert, sondern um eine Komik, die aufklärt, weil sie auch die Kehrseite von Größe zeigt, dazu all das, worüber Größe hinwegschreitet, hinwegschreiten muß, um wirklich groß zu sein.

Ein witziger und gelehrter Roman
Und nicht zuletzt: Es handelt sich um eine Komik, die befreit. Sie befreit, weil sie den angestrengten deutschen Souveränitätston bricht. Von dessen eisernen Banden befreit, erlaubt uns Kehlmanns Roman, uns vor den Großartigkeiten der deutschen Klassik nicht nur zu verneigen, sondern auch, was sie uns näher bringt, in ihrem Angesicht zu lächeln.

Dafür, für dieses spielerische Näherbringen, für dieses Aufspüren von Größe und Komik in der deutschen Kultur, für seinen eminent intelligenten, gleichermaßen witzigen und gelehrten Roman „Die Vermessung der Welt“ ehren wir Daniel Kehlmann mit dem WELT-Literaturpreis 2007.

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