Wettlauf nach dem Schock (Die Welt)
29. September 2007, 04:00 Uhr
Wettlauf nach dem Schock
Vor 50 Jahren schossen die Sowjets mit dem "Sputnik" ihren ersten Satelliten ins All. Jesco von Puttkamer, seit 1962 Raketenkonstrukteur und Vordenker der Nasa, erzählt über westliche Reaktionen, die Konkurrenz der Systeme und das Rennen zum Mond
Wo hat Sie damals der "Sputnik"-Schock überrascht?
Ich war damals ein 24-jähriger Ingenieurstudent. Am 4. Oktober 1957 saß ich in Paris im Café "Les Deux Magots" in St. Germain des Prés, als ein Zeitungsverkäufer hereinkam - mit den Schlagzeilen vom "Sputnik"-Start. Ich hatte sowieso vor, in die Raumfahrt zu gehen. An dem Tag merkte ich: Es wird Zeit.
Konnten Sie das "Sputnik"-Signal "Piep, piep, piep" hören?
Das kam aus allen Radiokanälen. Vollkommen überrascht war ich allerdings nicht. Die Amerikaner hatten schon 1955 angekündigt, irgendwann einen Satelliten zu starten. Die Russen später, aber sie nannten keinen Termin.
1957 war Internationales Geophysikalisches Jahr (IGY).
Richtig, und da gab es seit Längerem die Idee, zu dessen Abschluss den ersten Satelliten zu starten. Der Grund für den Start am 4. Oktober war wohl eher ein anderer: Die Trägerrakete, die R 7, war auch für Atomsprengköpfe vorgesehen. Die Militärs hatten aber technische Probleme. Viele ihrer Testflüge schlugen fehl, sodass schließlich nur noch zwei Raketen übrig waren für Versuche mit einem "Sputnik". Es ging dann auch sehr schnell: Der "Sputnik" war ja nichts als eine hohle Kugel, zwei Amateurradiosender darin, die das Signal "Piep, piep" ausstrahlten, und ein Thermometer. Ernst hätte man das eigentlich nicht nehmen müssen.
Was hatten Sie damals, vor dem "Sputnik", für ein Verhältnis zum Weltraum? Er war noch unbetreten, noch nicht einmal beschossen von Gerät. War das für Sie noch die Welt von Jules Verne?
Nein, es war schon mehr. Zum einen habe ich damals selbst Science-Fiction übers Weltall geschrieben, finanzierte mir damit mein Studium und war als Autor in Deutschland relativ bekannt. Zum anderen unterhielt ich zur "Sputnik"-Zeit schon einen Briefwechsel mit Wernher von Braun, holte mir von ihm Ratschläge, wie ich mein Studium am besten auf die Raumfahrt ausrichte.
Als Sie wenig später zum Raumfahrtteam Wernher von Brauns stießen, was erzählte der über den 4. Oktober?
Er war abends bei einem Essen mit Neil McElroy, der wenig später Verteidigungsminister Charles Wilson ablösen sollte. "Siehst du wohl", sagte er den Anwesenden, als er vom "Sputnik" hörte, "das hätten wir schon früher schaffen können. Aber wir durften nicht."
Warum nicht?
Wilson hatte es ihm in einem Memorandum untersagt. Damals arbeiteten alle drei Teilstreitkräfte, die Marine, die Luftwaffe und das Heer, an verschiedenen Raketen. Wilson meinte, das Heer, zu dem eben auch von Brauns Team gehörte, brauche nur Raketen mit geringer Reichweite, keine, die für die Weltraumfahrt geeignet gewesen wären. Lediglich die Marine durfte planen, um Wetterdaten aus der höheren Atmosphäre einzuholen und auch um Satellitentechnik zu entwickeln. Das kam aber nicht recht voran, und das Team von Brauns mit seinen ehemaligen Peenemündern, in der Entwicklung am weitesten voran, war in Wartestellung. Aus einem Grund: Wilson wollte unbedingt scharf trennen zwischen Waffen und Weltraumtechnik.
Spielte eine Rolle, dass von Brauns Team aus Deutschen bestand, aus ehemaligen Feinden?
Sie wurden akzeptiert, aber natürlich gab es viele, die meinten, die Nazi-Wissenschaftler sollten doch bitte schön nicht in erster Reihe stehen.
Noch 1944/45 lief unter von Braun ein Projekt mit den Raketen A 9 und A 10, die New York vernichten sollten.
Stimmt. Das waren aber Papierstudien, dafür gab es nicht mal Triebwerke.
Wären die Amerikaner als Erste und begeisterter ins All gestürmt, wenn sie es nicht mit Deutschen, mit ehemaligen Nazis, zu tun gehabt hätten?
Nein, das läge nicht im amerikanischen Wesen, sich durch so was aufhalten zu lassen. Es gab auch viele prodeutsch eingestellte Amerikaner, Einwanderer und Nachfahren von Einwanderern. Der Rückstand beim Satelliten lag eher an mangelnder Koordinierung ...
... und daran, dass Präsident Eisenhower kein Interesse an Raumfahrt hatte.
Er war nicht sonderlich enthusiastisch, druckste nur herum. Nicht mal nach dem Start des "Sputnik" erkannte er die Dimensionen, dass der Kalte Krieg in eine neue Phase getreten war, dass die Sowjets als Atomstreitmacht gleichgezogen hatten.
Als von Braun dann seine Rakete startete, war Eisenhower im Golf-Urlaub.
Wie bei vielen wichtigen Entscheidungen. So war er, er hatte ja seine Leute, die alles für ihn erledigten. Immerhin: Als er nach dem "Sputnik"-Start die Reaktionen im Kongress und in den Medien wahrnahm, da sah er wohl ein, dass er was tun musste. Er gründete die Nasa. Im Verteidigungsministerium strich man als Erstes das Wilson-Memorandum, und Wilson trat selbst bald zurück. Von Braun durfte nun entwickeln. Er sagte: Gebt mir 30 Tage, und ich schicke einen Satelliten ins All. Der neue Verteidigungsminister Neil McElroy bremste sogar noch: Sagen wir 60 Tage. Es wurden schließlich 58 bis zum Start.
Von Braun musste einfach nur seine alten Pläne von der V 2 hervorholen.
Es gab durchaus Änderungen. Die V 2 war schon nach dem Krieg obsolet, technisch veraltet. Die Tanks waren zum Beispiel noch draußen angebracht und brauchten eine zusätzliche Blechhülle. Und sie waren von Radiostrahlen geleitet, die Bodenstationen senden mussten. All das war umständlich, und von Braun hat es umgebaut.
War da schon der Mond das Ziel?
Als Leitstern spielte der Mond schon immer eine Rolle, auch bei den Raumfahrtpionieren der Vorkriegszeit. Für uns war er allerdings damals schon immer nur Zwischenstation, unser Ziel war und ist der Mars.
Wohin auch immer, das Rennen war eröffnet. Was wussten Sie von Ihren Gegenspielern? Kannten Sie "Mr. Sputnik"?
Vom Mann, der hinter allem stand, Sergej Koroljow, hörten wir erst, als er 1966 gestorben war. In den USA hatte man ihm immer irgendwelche Namen gegeben, "Professor K" oder so.
Er war ein Phantom.
Eigentlich dachten wir gar nicht, dass es sich überhaupt um einen einzelnen Menschen handelte. Eher, dass es wieder so ein Komitee war. Dass da, wie wir später erfuhren, ein starker Charakter, eine eigensinnige Person stand, der die Politiker rumkriegte, das hätten wir von dem starren, zentralistischen Sowjetsystem als Letztes erwartet. Dort gab es ja auch Fürstentümer, Konstrukteure, die ihre jeweiligen Schulen unterhielten und sich gegenseitig bekriegten. Eine verkehrte Welt: Wir dagegen, in der Demokratie, hatten schließlich seit 1958 die Nasa, alles war zentral organisiert.
Inwieweit beschäftigte Sie der Gedanke an die Gegenspieler?
Wir hatten nur Bewunderung dafür, was sie schafften. Lauter Erstleistungen: erster Satellit, erstes Lebewesen, dann erster Mensch im All, erste Frau, erster Ausstieg aus dem Raumschiff im All, erstes Rendezvous zweier Raumschiffe. Chruschtschow wollte Erstleistungen.
Kennedy auch. Er verlangte, dass Amerikaner als Erste den Mond betreten.
Die Amerikaner gehen immer erst ins Rennen, wenn jemand vor ihnen liegt, wie ein gutes Rennpferd. Die wollen nur die Ersten sein, wenn sie jemand überholt. Dann wird der Amerikaner zum Riesen. Das war schon in Pearl Harbor so, als die Japaner zum Erstschlag ausholten. Deshalb wird Pearl Harbor mit dem "Sputnik" verglichen. Das war so beim Computer, beim Auto. Wollen Sie Boeing aufwecken, müssen Sie Airbus gründen.
Spielte beim Rennen ins All Spionage eine Rolle?
Von unserer Seite weniger. Die Abwehr der Sowjets war zu gut. Wir hatten bald Satelliten, die uns Bilder lieferten, auch hochfliegende Flugzeuge. Da konnte man die Startplätze in Baikonur sehen. Wir haben davon aber kaum etwas erfahren. Die Bilder waren alle streng geheim, damit die andere Seite nicht sieht, über was für eine Ermittlungstechnik die USA verfügen. Nun gut, man hat Wernher von Braun gesagt: Die haben eine Mondrakete, die N 1, die war nicht zu übersehen. Da wussten wir: Das Rennen geht jetzt zum Mond.
Damals kursierten gehörige Gerüchte über einen geheimnisvollen Treibstoff der Sowjets. Haben Sie da nicht bei der CIA angeklopft, helft uns?
Wir hatten natürlich Experten, das Silverstein-Komitee, die sich gezielt Gedanken machten: Was haben die Sowjets? Flüssigwasserstoff? Flüssigsauerstoff kannten sie, das wussten wir, den gab es schon bei der V 2.
Und da soll die CIA nicht spioniert haben?
Es wäre eine schlechte Spionage gewesen, wenn ich darüber informiert worden wäre. Es kann sein, dass in Washington auf höchster Ebene darüber Informationen ausgetauscht wurden. Uns erzählte man nur über die Fotos aus dem All, und aus den Größenordnungen der Raketen leiteten wir dann unsere Erkenntnisse ab.
Im sowjetischen Raumfahrtprogramm arbeiteten auch Deutsche aus Peenemünde.
Ja, aber nur die zweite Garde, die nicht mit nach Amerika genommen wurde. Und dies auch nur in den ersten Jahren. Sie kamen bald schon zurück nach Deutschland. Sie spielten in Russland auch nicht die Rolle wie von Brauns Team in Amerika. Immerhin: Helmut Gröttrup, der Führende unter ihnen, machte später in Westdeutschland Technikgeschichte - er gilt als Erfinder der Chipkarte.
Koroljow wollte ohne die Deutschen auskommen. Er muss viel erduldet haben. Niemand in der UdSSR durfte von ihm wissen, von ihm, der doch der große Held war. Er war ein lebendes Staatsgeheimnis.
Da sind die Russen anders als wir. Sie können einem ungeheuren Leidensdruck standhalten. Ohne dass ihnen das bewusst ist. Koroljow war obendrein zuvor im Gulag gewesen. Und die russischen Experten haben immer gut dem Alkohol zugesprochen, wie die Verrückten. Der typische russische Raketenspezialist wurde nicht älter als 55 oder 56 Jahre. Wie auch Koroljow. Er allerdings starb nach einem ärztlichen Kunstfehler, im Krankenhaus des Kreml.
Angenommen, er hätte länger gelebt: Hätten die Russen die Chance gehabt, den Wettlauf zum Mond zu gewinnen?
Nein, dafür war das Land einfach zu arm. Sie konnten sich nicht mal Bodentestanlagen leisten, in denen wir zum Beispiel die Saturn 5 intensiv im Stand laufen ließen. Die haben einfach doppelt so viele Raketen gebaut und sie im Flug erprobt. Erst mal schnell bauen, fliegen und daraus lernen, ob alles explodiert oder nicht. Das war deren Philosophie. Der Welt wurde das natürlich anders dargestellt. Es war auch peinlich. Aber es musste eben oft in die Luft fliegen, weil es noch gar nicht getestet war.
Und dann war immer gleich auch eine neue Startrampe fällig.
Die meisten Raketen explodierten erst nach Minuten, die Teile kamen dann irgendwo herunter. Aber Koroljow war auch schlau. Als er merkte, dass alles manchmal nach wenigen Metern schon in die Luft flog, trimmte er seine Raketen auf schrägen Start, sodass sie im Zweifel das große Loch in den Boden etwas versetzt von der Rampe rissen. So improvisiert man in Russland.
Sergej Chruschtschow, der Sohn des früheren Parteisekretärs, meinte mal, Kennedy habe seinem Vater die Zusammenarbeit in der Raumfahrt angeboten, und der habe sogar überlegt, darauf einzugehen.
Stimmt, so war es. Aber Kennedy wollte damit wohl nur diplomatischen Boden gewinnen. Ich bezweifele, dass daraus etwas hätte werden können. Das Apollo-Programm war auch schon angelaufen. Bald darauf wurde Kennedy ermordet, und sein Nachfolger Lyndon B. Johnson, der großen Wert auf die Raumfahrt legte, hatte an solchen Plänen kein Interesse.
Heute ist die Zusammenarbeit da.
Ja, und ein Gegeneinander, ein Konkurrieren, wäre heute undenkbar.
Wann steht der erste Mensch auf dem Mars? 2017? 2020?
Erst mal geht es zum Mond als Zwischenstation.
Welche Schwierigkeiten sind größer: die der Technik oder der menschlichen Natur?
Für die Fahrt zum Mond sehe ich gar keine Probleme, da waren wir ja schon mehrmals. Technisch haben wir den Flug zum Mars wohl auch im Griff, wir entwickeln gerade zwei neue Großraketen. Die großen Fragezeichen sind bei den Auswirkungen auf den Menschen: die Psyche zum Beispiel, man ist schließlich zwei, vielleicht drei Jahre unterwegs. Auch der Strahlenschutz muss bewältigt werden, und wie wirkt sich eine so lange Schwerelosigkeit auf den Körperbau aus? Insgesamt geht es aber derzeit schneller voran, als man denkt.
Wettlauf nach dem Schock
Vor 50 Jahren schossen die Sowjets mit dem "Sputnik" ihren ersten Satelliten ins All. Jesco von Puttkamer, seit 1962 Raketenkonstrukteur und Vordenker der Nasa, erzählt über westliche Reaktionen, die Konkurrenz der Systeme und das Rennen zum Mond
Wo hat Sie damals der "Sputnik"-Schock überrascht?
Ich war damals ein 24-jähriger Ingenieurstudent. Am 4. Oktober 1957 saß ich in Paris im Café "Les Deux Magots" in St. Germain des Prés, als ein Zeitungsverkäufer hereinkam - mit den Schlagzeilen vom "Sputnik"-Start. Ich hatte sowieso vor, in die Raumfahrt zu gehen. An dem Tag merkte ich: Es wird Zeit.
Konnten Sie das "Sputnik"-Signal "Piep, piep, piep" hören?
Das kam aus allen Radiokanälen. Vollkommen überrascht war ich allerdings nicht. Die Amerikaner hatten schon 1955 angekündigt, irgendwann einen Satelliten zu starten. Die Russen später, aber sie nannten keinen Termin.
1957 war Internationales Geophysikalisches Jahr (IGY).
Richtig, und da gab es seit Längerem die Idee, zu dessen Abschluss den ersten Satelliten zu starten. Der Grund für den Start am 4. Oktober war wohl eher ein anderer: Die Trägerrakete, die R 7, war auch für Atomsprengköpfe vorgesehen. Die Militärs hatten aber technische Probleme. Viele ihrer Testflüge schlugen fehl, sodass schließlich nur noch zwei Raketen übrig waren für Versuche mit einem "Sputnik". Es ging dann auch sehr schnell: Der "Sputnik" war ja nichts als eine hohle Kugel, zwei Amateurradiosender darin, die das Signal "Piep, piep" ausstrahlten, und ein Thermometer. Ernst hätte man das eigentlich nicht nehmen müssen.
Was hatten Sie damals, vor dem "Sputnik", für ein Verhältnis zum Weltraum? Er war noch unbetreten, noch nicht einmal beschossen von Gerät. War das für Sie noch die Welt von Jules Verne?
Nein, es war schon mehr. Zum einen habe ich damals selbst Science-Fiction übers Weltall geschrieben, finanzierte mir damit mein Studium und war als Autor in Deutschland relativ bekannt. Zum anderen unterhielt ich zur "Sputnik"-Zeit schon einen Briefwechsel mit Wernher von Braun, holte mir von ihm Ratschläge, wie ich mein Studium am besten auf die Raumfahrt ausrichte.
Als Sie wenig später zum Raumfahrtteam Wernher von Brauns stießen, was erzählte der über den 4. Oktober?
Er war abends bei einem Essen mit Neil McElroy, der wenig später Verteidigungsminister Charles Wilson ablösen sollte. "Siehst du wohl", sagte er den Anwesenden, als er vom "Sputnik" hörte, "das hätten wir schon früher schaffen können. Aber wir durften nicht."
Warum nicht?
Wilson hatte es ihm in einem Memorandum untersagt. Damals arbeiteten alle drei Teilstreitkräfte, die Marine, die Luftwaffe und das Heer, an verschiedenen Raketen. Wilson meinte, das Heer, zu dem eben auch von Brauns Team gehörte, brauche nur Raketen mit geringer Reichweite, keine, die für die Weltraumfahrt geeignet gewesen wären. Lediglich die Marine durfte planen, um Wetterdaten aus der höheren Atmosphäre einzuholen und auch um Satellitentechnik zu entwickeln. Das kam aber nicht recht voran, und das Team von Brauns mit seinen ehemaligen Peenemündern, in der Entwicklung am weitesten voran, war in Wartestellung. Aus einem Grund: Wilson wollte unbedingt scharf trennen zwischen Waffen und Weltraumtechnik.
Spielte eine Rolle, dass von Brauns Team aus Deutschen bestand, aus ehemaligen Feinden?
Sie wurden akzeptiert, aber natürlich gab es viele, die meinten, die Nazi-Wissenschaftler sollten doch bitte schön nicht in erster Reihe stehen.
Noch 1944/45 lief unter von Braun ein Projekt mit den Raketen A 9 und A 10, die New York vernichten sollten.
Stimmt. Das waren aber Papierstudien, dafür gab es nicht mal Triebwerke.
Wären die Amerikaner als Erste und begeisterter ins All gestürmt, wenn sie es nicht mit Deutschen, mit ehemaligen Nazis, zu tun gehabt hätten?
Nein, das läge nicht im amerikanischen Wesen, sich durch so was aufhalten zu lassen. Es gab auch viele prodeutsch eingestellte Amerikaner, Einwanderer und Nachfahren von Einwanderern. Der Rückstand beim Satelliten lag eher an mangelnder Koordinierung ...
... und daran, dass Präsident Eisenhower kein Interesse an Raumfahrt hatte.
Er war nicht sonderlich enthusiastisch, druckste nur herum. Nicht mal nach dem Start des "Sputnik" erkannte er die Dimensionen, dass der Kalte Krieg in eine neue Phase getreten war, dass die Sowjets als Atomstreitmacht gleichgezogen hatten.
Als von Braun dann seine Rakete startete, war Eisenhower im Golf-Urlaub.
Wie bei vielen wichtigen Entscheidungen. So war er, er hatte ja seine Leute, die alles für ihn erledigten. Immerhin: Als er nach dem "Sputnik"-Start die Reaktionen im Kongress und in den Medien wahrnahm, da sah er wohl ein, dass er was tun musste. Er gründete die Nasa. Im Verteidigungsministerium strich man als Erstes das Wilson-Memorandum, und Wilson trat selbst bald zurück. Von Braun durfte nun entwickeln. Er sagte: Gebt mir 30 Tage, und ich schicke einen Satelliten ins All. Der neue Verteidigungsminister Neil McElroy bremste sogar noch: Sagen wir 60 Tage. Es wurden schließlich 58 bis zum Start.
Von Braun musste einfach nur seine alten Pläne von der V 2 hervorholen.
Es gab durchaus Änderungen. Die V 2 war schon nach dem Krieg obsolet, technisch veraltet. Die Tanks waren zum Beispiel noch draußen angebracht und brauchten eine zusätzliche Blechhülle. Und sie waren von Radiostrahlen geleitet, die Bodenstationen senden mussten. All das war umständlich, und von Braun hat es umgebaut.
War da schon der Mond das Ziel?
Als Leitstern spielte der Mond schon immer eine Rolle, auch bei den Raumfahrtpionieren der Vorkriegszeit. Für uns war er allerdings damals schon immer nur Zwischenstation, unser Ziel war und ist der Mars.
Wohin auch immer, das Rennen war eröffnet. Was wussten Sie von Ihren Gegenspielern? Kannten Sie "Mr. Sputnik"?
Vom Mann, der hinter allem stand, Sergej Koroljow, hörten wir erst, als er 1966 gestorben war. In den USA hatte man ihm immer irgendwelche Namen gegeben, "Professor K" oder so.
Er war ein Phantom.
Eigentlich dachten wir gar nicht, dass es sich überhaupt um einen einzelnen Menschen handelte. Eher, dass es wieder so ein Komitee war. Dass da, wie wir später erfuhren, ein starker Charakter, eine eigensinnige Person stand, der die Politiker rumkriegte, das hätten wir von dem starren, zentralistischen Sowjetsystem als Letztes erwartet. Dort gab es ja auch Fürstentümer, Konstrukteure, die ihre jeweiligen Schulen unterhielten und sich gegenseitig bekriegten. Eine verkehrte Welt: Wir dagegen, in der Demokratie, hatten schließlich seit 1958 die Nasa, alles war zentral organisiert.
Inwieweit beschäftigte Sie der Gedanke an die Gegenspieler?
Wir hatten nur Bewunderung dafür, was sie schafften. Lauter Erstleistungen: erster Satellit, erstes Lebewesen, dann erster Mensch im All, erste Frau, erster Ausstieg aus dem Raumschiff im All, erstes Rendezvous zweier Raumschiffe. Chruschtschow wollte Erstleistungen.
Kennedy auch. Er verlangte, dass Amerikaner als Erste den Mond betreten.
Die Amerikaner gehen immer erst ins Rennen, wenn jemand vor ihnen liegt, wie ein gutes Rennpferd. Die wollen nur die Ersten sein, wenn sie jemand überholt. Dann wird der Amerikaner zum Riesen. Das war schon in Pearl Harbor so, als die Japaner zum Erstschlag ausholten. Deshalb wird Pearl Harbor mit dem "Sputnik" verglichen. Das war so beim Computer, beim Auto. Wollen Sie Boeing aufwecken, müssen Sie Airbus gründen.
Spielte beim Rennen ins All Spionage eine Rolle?
Von unserer Seite weniger. Die Abwehr der Sowjets war zu gut. Wir hatten bald Satelliten, die uns Bilder lieferten, auch hochfliegende Flugzeuge. Da konnte man die Startplätze in Baikonur sehen. Wir haben davon aber kaum etwas erfahren. Die Bilder waren alle streng geheim, damit die andere Seite nicht sieht, über was für eine Ermittlungstechnik die USA verfügen. Nun gut, man hat Wernher von Braun gesagt: Die haben eine Mondrakete, die N 1, die war nicht zu übersehen. Da wussten wir: Das Rennen geht jetzt zum Mond.
Damals kursierten gehörige Gerüchte über einen geheimnisvollen Treibstoff der Sowjets. Haben Sie da nicht bei der CIA angeklopft, helft uns?
Wir hatten natürlich Experten, das Silverstein-Komitee, die sich gezielt Gedanken machten: Was haben die Sowjets? Flüssigwasserstoff? Flüssigsauerstoff kannten sie, das wussten wir, den gab es schon bei der V 2.
Und da soll die CIA nicht spioniert haben?
Es wäre eine schlechte Spionage gewesen, wenn ich darüber informiert worden wäre. Es kann sein, dass in Washington auf höchster Ebene darüber Informationen ausgetauscht wurden. Uns erzählte man nur über die Fotos aus dem All, und aus den Größenordnungen der Raketen leiteten wir dann unsere Erkenntnisse ab.
Im sowjetischen Raumfahrtprogramm arbeiteten auch Deutsche aus Peenemünde.
Ja, aber nur die zweite Garde, die nicht mit nach Amerika genommen wurde. Und dies auch nur in den ersten Jahren. Sie kamen bald schon zurück nach Deutschland. Sie spielten in Russland auch nicht die Rolle wie von Brauns Team in Amerika. Immerhin: Helmut Gröttrup, der Führende unter ihnen, machte später in Westdeutschland Technikgeschichte - er gilt als Erfinder der Chipkarte.
Koroljow wollte ohne die Deutschen auskommen. Er muss viel erduldet haben. Niemand in der UdSSR durfte von ihm wissen, von ihm, der doch der große Held war. Er war ein lebendes Staatsgeheimnis.
Da sind die Russen anders als wir. Sie können einem ungeheuren Leidensdruck standhalten. Ohne dass ihnen das bewusst ist. Koroljow war obendrein zuvor im Gulag gewesen. Und die russischen Experten haben immer gut dem Alkohol zugesprochen, wie die Verrückten. Der typische russische Raketenspezialist wurde nicht älter als 55 oder 56 Jahre. Wie auch Koroljow. Er allerdings starb nach einem ärztlichen Kunstfehler, im Krankenhaus des Kreml.
Angenommen, er hätte länger gelebt: Hätten die Russen die Chance gehabt, den Wettlauf zum Mond zu gewinnen?
Nein, dafür war das Land einfach zu arm. Sie konnten sich nicht mal Bodentestanlagen leisten, in denen wir zum Beispiel die Saturn 5 intensiv im Stand laufen ließen. Die haben einfach doppelt so viele Raketen gebaut und sie im Flug erprobt. Erst mal schnell bauen, fliegen und daraus lernen, ob alles explodiert oder nicht. Das war deren Philosophie. Der Welt wurde das natürlich anders dargestellt. Es war auch peinlich. Aber es musste eben oft in die Luft fliegen, weil es noch gar nicht getestet war.
Und dann war immer gleich auch eine neue Startrampe fällig.
Die meisten Raketen explodierten erst nach Minuten, die Teile kamen dann irgendwo herunter. Aber Koroljow war auch schlau. Als er merkte, dass alles manchmal nach wenigen Metern schon in die Luft flog, trimmte er seine Raketen auf schrägen Start, sodass sie im Zweifel das große Loch in den Boden etwas versetzt von der Rampe rissen. So improvisiert man in Russland.
Sergej Chruschtschow, der Sohn des früheren Parteisekretärs, meinte mal, Kennedy habe seinem Vater die Zusammenarbeit in der Raumfahrt angeboten, und der habe sogar überlegt, darauf einzugehen.
Stimmt, so war es. Aber Kennedy wollte damit wohl nur diplomatischen Boden gewinnen. Ich bezweifele, dass daraus etwas hätte werden können. Das Apollo-Programm war auch schon angelaufen. Bald darauf wurde Kennedy ermordet, und sein Nachfolger Lyndon B. Johnson, der großen Wert auf die Raumfahrt legte, hatte an solchen Plänen kein Interesse.
Heute ist die Zusammenarbeit da.
Ja, und ein Gegeneinander, ein Konkurrieren, wäre heute undenkbar.
Wann steht der erste Mensch auf dem Mars? 2017? 2020?
Erst mal geht es zum Mond als Zwischenstation.
Welche Schwierigkeiten sind größer: die der Technik oder der menschlichen Natur?
Für die Fahrt zum Mond sehe ich gar keine Probleme, da waren wir ja schon mehrmals. Technisch haben wir den Flug zum Mars wohl auch im Griff, wir entwickeln gerade zwei neue Großraketen. Die großen Fragezeichen sind bei den Auswirkungen auf den Menschen: die Psyche zum Beispiel, man ist schließlich zwei, vielleicht drei Jahre unterwegs. Auch der Strahlenschutz muss bewältigt werden, und wie wirkt sich eine so lange Schwerelosigkeit auf den Körperbau aus? Insgesamt geht es aber derzeit schneller voran, als man denkt.
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