Trendgetränke und Nostalgie (Berliner Zeitung)

NACHTGESTALTEN
Trendgetränke und Nostalgie
Anne Lena Mösken

Ah, hallo, du lebst noch?" begrüßt Jonas Gebreselassie die Frau auf der anderen Seite des Tresens. Ohne zu fragen fischt er eine blaue Zigarettenpackung aus dem Regal. Der nächste Kunde sieht etwas verquollen aus. Gebreselassie lacht. "Gerade aufgestanden, was?", sagt er. Es ist früher Abend, am U-Bahnhof Eberswalder Straße strömen Menschenmassen die Treppen hinunter, biegen nach rechts in die Kastanienallee oder nach links in die Danziger Straße. Jonas Gebreselassie hat viel zu tun. Er steht in dem Kiosk unten an den Treppen. Auf der grünen Markise steht "Akuna Matata".

Im Sekundentakt schiebt Gebreselassie Zigarettenfilter, Bierflaschen, Musikzeitschriften und wieder Zigarettenfilter über die Theke. Seit einem Jahr macht er das, sechs Tage in der Woche, am Wochenende bis spät in die Nacht. Dort, wo er steht, ist der Boden abgewetzt. Gebreselassie trägt eine Trainingshose und einen Rollkragenpulli unter dem Anorak. Nicht mehr lange, dann sind die Nächte so kalt, dass er den Gasofen in der Ecke anmachen muss. Während aus den Boxen der "Kill-Bill"-Soundtrack dröhnt, erzählt Gebreselassie, wie er mit 14 aus Eritrea nach Deutschland kam, wegen des Bürgerkriegs in seinem Land. Sein Zuhause sei jetzt Deutschland, sagt er.

In seinem Kiosk gibt es alles, was das Prenzlauer-Berg-Herz begehrt: Szenemagazine, ausgefallene Zigarettenmarken, Trendgetränke und dieses kleine bisschen Nostalgie: Seit mehr als 40 Jahren steht das Kioskhäuschen unter der U-Bahn. Doch die Kreuzung soll umgebaut werden, dort, wo der Kiosk liegt, soll ein Fahrradweg hin. 7 000 Unterschriften wurden bereits gesammelt, um das zu verhindern. "Aber es sieht nicht gut aus", sagt Jonas Gebreselassie. Er mag den Job. "Diese kurzen Gespräche mit den Menschen, diese 20 Sekunden, die gefallen mir am besten", sagt er. Was heißt noch mal Akuna Matata? Kein Problem - in Suaheli.

Berliner Zeitung, 11.10.2007