Knaller an der Zeitungsfront

Saturday, October 06, 2007

Die Lüge als olympische Konstante (Berliner Zeitung)

Kommentar
Die Lüge als olympische Konstante
Jens Weinreich

Wieder wird eine Olympiachronik umgeschrieben. Die Amerikanerin Marion Jones war gedopt, als sie bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney drei Goldmedaillen ersprintete. Die Nachricht überrascht kaum, denn die Indizien im Fall Jones wogen schwer, allein fehlte bislang ein Geständnis. Dies hat Jones nun schriftlich fixiert, zunächst für ihre engsten Freunde. In Kürze wird sie weitere Details preisgeben. Sie muss plaudern, weil sie hofft, einer Haftstrafe wegen Meineids zu entgehen, oder diese Strafe wenigstens zu mildern.

Das Leben der Marion Jones ist eine Lügengeschichte: Sie war schon als Teenager dopingauffällig. Sie war mit dem Kugelstoßer C. J. Hunter verheiratet, einem Doper. Sie lebte mit Sprint-Weltrekordler Tim Montgomery zusammen, einem Doper. Sie trainierte bei Trevor Graham, einem Doper, später bei Charlie Francis, einem Doper. So ging das in einem fort. Doch einzigartig ist diese Geschichte nicht. Die Story ist die Regel im Hochleistungssport, nicht die Ausnahme. Man schaue sich nur die Siegerlisten von Sydney an; große Namen beschäftigen bis heute die Sportjustiz: etwa Jan Ullrich, Ian Thorpe oder Kostas Kenteris.

Sollte Ullrich seine Goldmedaille hergeben müssen, würde der Kasache Alexander Winokurow nachrücken. Ein Doper, natürlich. Für die Sprint-Goldmedaille von Jones findet sich auch kein glaubwürdiger Empfänger - sondern nur die Griechin Ekaterini Thanou, die 2004 in Athen auf der Flucht vor Dopingkontrolleuren mit einem getürkten Motorradunfall die Welt foppen wollte.
Berliner Zeitung, 06.10.2007

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