Knaller an der Zeitungsfront

Wednesday, September 05, 2007

"Houston, Oma hat ein Problem" (SZ)

23.08.2007
Das Internetvideo der Woche
"Houston, Oma hat ein Problem"
Gleich hebt sie ab: Diese Dame hat ihrem Hund ein Stöckchen geworfen und lernt dadurch die Schwerelosigkeit kennen - wirklich witzige Videos in der Clip-Kritik.Von Christian Kortmann

Eine ältere Dame fliegt an einer Hundeleine durch die Luft, ein chinesischer Möchtegern-Herkules wird von einem Baumstamm gefällt und ein Turner vom Sprungbrett in den Himmel katapultiert: Damit uns gespielte Witze im Netz begeistern, müssen sie mehr vermitteln als Pannencharakter und Schadenfreude. Wie die Sketche eines Dieter Hallervorden erst durch sprachliche Fantasie ("Palim, palim!") zu Kunst wurden, erwartet man von einem Gag-Clip, dass er Dinge in Bild und Ton beglaubigt, obwohl sie nicht wahr sein können. Diese Irritierung der erlernten Fernseh- und Kinogewohnheiten ist das mediale Moment, den ein Internetvideo besitzen muss, um wirklich witzig zu sein.

Der Titel des Clips "old lady, big dog" benennt lakonisch eine Gegensätzlichkeit, die für Probleme sorgen kann und es dann auch tut: Eine Frau führt eine Dogge aus, die ihr bis zur Brust reicht. Schön zeichnet sich der Kontrast des samtigen braunen Fells vor der lilafarbenen Hundeausgehjacke ab. Dann wirft Frauchen ein Stöckchen oder eine Wurst, wohl die Folgen nicht bedenkend.

Jetzt geht alles ganz schnell: Der Hund will das, was sie geworfen hat, sofort haben und ist mit wenigen Sätzen aus dem Bild verschwunden. Und, um es mit Peter Schillings "Major Tom" zu sagen, dann! - hebt! - sie! - ab!: Beschleunigt von der Hundeanziehungskraft macht die alte Dame Bekanntschaft mit der Schwerelosigkeit und fliegt aus dem Bild. Die Ausziehleine wirkt wie ein Sportgerät: Dog-Flying, nach Kite-Surfen das nächste große Ding.

Am Clip-Anfang hat die winkende junge Frau den dokumentarischen Gestus der Beiläufigkeit erzeugt: Das Video könnte zufällig mit dem Mobiltelefon gefilmt sein, wenngleich im selben Moment klar ist, dass es sich um einen Fake handelt. Durch seine Unfertigkeit ist der Clip nah an der medialen Erfahrungswelt des Users; der Spezialeffekt am Ende sorgt für Irritation und maximale Wirkung.

Skurrilen Effekten gegenüber nicht abgeneigt ist auch die asiatische TV-Unterhaltung. Vor allem das japanische Fernsehen löst in Europa meist eine Mischung aus Staunen und Kopfschütteln aus: Menschen, die sich wie Comicfiguren kleiden, Popgruppen, die nur dort berühmt werden, Karaoke bis zur Ohnmacht, Spielshows voller physischer Albernheiten. Und Chinas Staatsfernsehen sendete in diesem Jahr eine rheinische Karnevalssitzung live, wo bekanntlich der Welthumorrekord stets in neue Dimensionen empor geschraubt wird.

Im Clip "Chinese Guy" wird die Erwartungshaltung, im asiatischen Fernsehen Absonderliches geboten zu bekommen, überrumpelt, indem sie auf die Spitze getrieben wird. Man hält Unmögliches für möglich, doch dann geschieht einfach das Mögliche: Ein Nachrichtensprecher kündigt einen sensationellen Einspielfilm an: Zwei Männer mit Äxten fällen eine Art Maibaum. In dessen Falllinie stellt sich ein durchtrainierter Mann mit Talkum gepuderten Händen auf. Sein Oberkörper ist nackt und durchtrainiert, er will tatsächlich den fallenden Stamm auffangen!

Das ist mal ein prächtiger Gefahrensucher, der in kühner Pose einer sinnlosen Todesgelegenheit gegenüber tritt. Doch die Pose war wohl ein bisschen zu kühn, denn der Stamm fällt den Mann und rauscht trocken bis auf den Boden durch. Das Publikum auf der Lichtung findet das ganz normal und geht sofort nach Hause, wie Fans einer Fußballmannschaft, die kurz vor Spielende aussichtslos zurückliegt.
Ein Witz umreißt einen Raum
der Illusion, man lacht in Möglichkeiten hinein, die die Realität nicht bietet. So ist es bezeichnend, dass der Clip "Spring Board breaks" in dieser Fassung am populärsten ist: Ein Kunstturner nimmt Anlauf zu einem Sprung, dann entladen sich die Federn des Sprungbretts explosiv und katapultieren ihn in den Hallenhimmel, so dass er in den Tischen der Punktrichter landet. Er habe niemals ein Sprungbrett derart brechen sehen, sagt einer der beiden Reporter.

In der Urfassung ist dieses Video fast doppelt so lang und gibt sich klar als Werbespot zu erkennen. Doch solche Eindeutigkeit ist bei den Usern nicht erwünscht: Mehr Spaß macht es, darüber zu staunen, dass solch ein Unfall tatsächlich irgendwann passiert sein könnte, an einem fernen Ort, bei Weltmeisterschaften (wie auf der Bande steht), die man vielleicht verpasst hat. In der Kurzfassung bleibt die Zweideutigkeit erhalten: Der Clip übernimmt die bekannten Bildwelten und dreht sie so weit in den Grenzbereich zwischen Wahnsinn und Wahrscheinlichkeit, dass Zweifeln zum Vergnügen wird. Wo die Werber dem Spot jedes Geheimnis genommen haben, machen die User ihn viral, weil er nun zum Gegenstand der Kommunikation taugt.

Die Frage, ob und warum etwas witzig ist, ist deshalb faszinierend, weil sie genau so dynamisch und kulturell bedingt ist wie die nach der Schönheit, aber im Lachen einen körperlich erregenden Beweis kennt. Witze sind die Musik der Ideen - wenn sie harmonisch (oder eben besonders disharmonisch) aufgehen, kann sich niemand ihrer Kraft entziehen: Ein Lachen ist kaum zu unterdrücken.

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