Der Quietsch-Boy (SZ)
16.08.2007
Das Internetvideo der Woche
Der Quietsch-Boy
Es sieht so aus, als würde dieser Mann nur auf seinem Sofa sitzen. Doch er spielt gerade "Bohemian Rhapsody", den kompliziertesten Song des Pop - mit seinen Händen. Ein besonderer Leserwunsch in der Clip-Kritik.Von Christian Kortmann
Früher oder später kommt der Tag im Leben eines Kolumnisten, an dem er die Leserpost nicht länger ignorieren kann. Ich habe ihn im Ohr, den Sound der Kolumnen der Flann O'Briens und Dave Barrys dieser Welt, da sie einen Leserbrief zum Gegenstand ihres Schaffens machen - mal, weil sie durch die Lesermeinung auf eine zündende Idee gekommen sind; mal, weil sie auf herbe Kritik antworten, und mal, weil ihnen am Kolumnenproduktionsfließband nichts Besseres eingefallen ist.
An den Leser schreibt man in jedem Fall besonders erleichtert zurück, wird durch Leserbriefe doch bewiesen, dass da draußen tatsächlich jemand liest und man sich in einem Dialog mit der Welt befindet. Der Leserbriefschreiber ist und bleibt ein Freund, egal, wie arg er sich beschwert - er kann sich nicht wehren: Durch das veröffentlichte Rückschreiben wird die Brieffreundschaft nämlich vor aller Augen besiegelt.
Wie zerfließende Uhren
Ich erhalte Leserbriefe nie auf Büttenpapier, liebevoll mit goldspitzigem Füllfederhalter verfasst. Meist stehen Lob und Beschimpfungen in den Kommentaren direkt unter der Kolumne. Doch manchmal flattern per E-Mail Wunschzettel ins Haus: Leser bitten darum, dass ein bestimmtes Internetvideo rezensiert werden möge. Als schreibender Dienstleister fühle ich mich da wie ein Schuhputzer am Frankfurter Flughafen, der einer internationalen Kundschaft gerne behilflich ist.
Deshalb geht es in dieser Folge um den Clip "Manualist Plays California Guitar Trio Bohemian Rhapsody", dessen Rezension innerhalb kurzer Zeit gleich zwei Mal gewünscht wurde: Zuerst von Martin, den es nach Barcelona verschlagen hat, und wenig später vom Chef vom Dienst der Hamburger "taz"-Redaktion. Wenn sich ein Emigrant und die unverzichtbare "taz" etwas wünschen, wie könnte man das ignorieren?
Ein Mann sitzt auf der Couch und macht Musik mit seinen Händen, indem er Luft zwischen den Fingern hindurchpresst. Er nennt sich Manualist, und sein größter Hit ist eine Coverversion von "Bohemian Rhapsody". Wer sich daran wagt, sollte genau wissen, was er tut, denn der Song ist ein singulärer Moment der Popgeschichte: Wenn "Penny Lane" die Mona Lisa des Pop ist, perfekt ausbalanciert und im Louvre kanonisiert, so wären Salvador Dalís wie Camembert zerfließende Uhren die Entsprechung zu "Bohemian Rhapsody": noch nicht abschließend beurteilt, zwischen surrealem Bad-taste und hochkulturellem Genie changierend und besonders von Heranwachsenden verehrt.
Würdiger Nachfolger
Nur Freddie Mercury und seine Band Queen konnten diesen Song interpretieren, ohne peinlich zu wirken. 1975 von Mercury geschrieben, kann der Titel treffend mit "Ungewöhnliche Komposition" übersetzt werden: eine epische Rockballade mit einem A-Capella-Beginn, einem fantastisch-dadaistischen Opernpart in der Mitte und keinem Refrain. Die Aufnahmen dauerten mehr als drei Wochen; Mercury soll das ganze Stück im Kopf gehabt und die Band hindurch dirigiert haben.
Zur "Bohemian Rhapsody"-Fassung des California Guitar Trios übernimmt Manualist den Solopart von Mercury. Er hat sein Lieblingssweatshirt angezogen, sich auf seinen Lieblingsplatz auf seiner Lieblingscouch gesetzt und die beiden Lautsprecher Ohrensessel-gleich auf der Rückenlehne des tarnfarbenen Möbelstücks installiert. Jegliche Mimik versagt er sich, dafür ist der Körper konstant in peristaltischer Bewegung, als würde er aus allen Fasern die Töne hervormassieren. Die Finger öffnen sich ab und zu, als holten sie Luft. Während Mercurys unerhört wahnsinnigem Opernpart ("Scaramouche, Scaramouche, will you do the Fandango?") verwinden sich die geschmeidigen Glieder wie ein Python, der ein Kaninchen verdaut. Wie trifft Manualist nur jeden dieser hohen, nahezu grellen Töne?
Die starre Kamera, die eine einzige ungeschnittene Einstellung zeigt, entspricht der Attitüde des Interpreten; sie sind beide schon immer da: Manualist quietscht seit 37 Jahren mit seinen Händen, er hat vor der Erfindung des Internetvideos musiziert, und wird es auch noch tun, wenn YouTube vom Großen Beben aus dem kalifornischen San Bruno getilgt wird. Die Ringe an seinen Fingern sind Künstlerschmuck, neben ihm liegen CDs auf der Couch - Stoff für weitere Clips: Der Song, den er nicht hinbekommt, muss erst noch erfunden werden!
Gerade seine im Kontrast zur maximalen stilistischen Verrenkung von "Bohemian Rhapsody" stehende Steifheit macht Manualists Exzentrik so aufwühlend. Er demonstriert, dass eine Annäherung an das Original nur durch mutige Entfernung davon gelingen kann. Denn er ersetzt Mercurys Exzentrik durch eine ganz andere, ebenfalls überzeugende Exzentrik.
Als Queen einen Nachfolger für den verstorbenen Mercury suchten, um wieder auf Tour zu gehen, griffen sie daneben. Sie hätten Manualist, im Hauptberuf übrigens Waffenhändler in Michigan, mitnehmen müssen.
Das Internetvideo der Woche
Der Quietsch-Boy
Es sieht so aus, als würde dieser Mann nur auf seinem Sofa sitzen. Doch er spielt gerade "Bohemian Rhapsody", den kompliziertesten Song des Pop - mit seinen Händen. Ein besonderer Leserwunsch in der Clip-Kritik.Von Christian Kortmann
Früher oder später kommt der Tag im Leben eines Kolumnisten, an dem er die Leserpost nicht länger ignorieren kann. Ich habe ihn im Ohr, den Sound der Kolumnen der Flann O'Briens und Dave Barrys dieser Welt, da sie einen Leserbrief zum Gegenstand ihres Schaffens machen - mal, weil sie durch die Lesermeinung auf eine zündende Idee gekommen sind; mal, weil sie auf herbe Kritik antworten, und mal, weil ihnen am Kolumnenproduktionsfließband nichts Besseres eingefallen ist.
An den Leser schreibt man in jedem Fall besonders erleichtert zurück, wird durch Leserbriefe doch bewiesen, dass da draußen tatsächlich jemand liest und man sich in einem Dialog mit der Welt befindet. Der Leserbriefschreiber ist und bleibt ein Freund, egal, wie arg er sich beschwert - er kann sich nicht wehren: Durch das veröffentlichte Rückschreiben wird die Brieffreundschaft nämlich vor aller Augen besiegelt.
Wie zerfließende Uhren
Ich erhalte Leserbriefe nie auf Büttenpapier, liebevoll mit goldspitzigem Füllfederhalter verfasst. Meist stehen Lob und Beschimpfungen in den Kommentaren direkt unter der Kolumne. Doch manchmal flattern per E-Mail Wunschzettel ins Haus: Leser bitten darum, dass ein bestimmtes Internetvideo rezensiert werden möge. Als schreibender Dienstleister fühle ich mich da wie ein Schuhputzer am Frankfurter Flughafen, der einer internationalen Kundschaft gerne behilflich ist.
Deshalb geht es in dieser Folge um den Clip "Manualist Plays California Guitar Trio Bohemian Rhapsody", dessen Rezension innerhalb kurzer Zeit gleich zwei Mal gewünscht wurde: Zuerst von Martin, den es nach Barcelona verschlagen hat, und wenig später vom Chef vom Dienst der Hamburger "taz"-Redaktion. Wenn sich ein Emigrant und die unverzichtbare "taz" etwas wünschen, wie könnte man das ignorieren?
Ein Mann sitzt auf der Couch und macht Musik mit seinen Händen, indem er Luft zwischen den Fingern hindurchpresst. Er nennt sich Manualist, und sein größter Hit ist eine Coverversion von "Bohemian Rhapsody". Wer sich daran wagt, sollte genau wissen, was er tut, denn der Song ist ein singulärer Moment der Popgeschichte: Wenn "Penny Lane" die Mona Lisa des Pop ist, perfekt ausbalanciert und im Louvre kanonisiert, so wären Salvador Dalís wie Camembert zerfließende Uhren die Entsprechung zu "Bohemian Rhapsody": noch nicht abschließend beurteilt, zwischen surrealem Bad-taste und hochkulturellem Genie changierend und besonders von Heranwachsenden verehrt.
Würdiger Nachfolger
Nur Freddie Mercury und seine Band Queen konnten diesen Song interpretieren, ohne peinlich zu wirken. 1975 von Mercury geschrieben, kann der Titel treffend mit "Ungewöhnliche Komposition" übersetzt werden: eine epische Rockballade mit einem A-Capella-Beginn, einem fantastisch-dadaistischen Opernpart in der Mitte und keinem Refrain. Die Aufnahmen dauerten mehr als drei Wochen; Mercury soll das ganze Stück im Kopf gehabt und die Band hindurch dirigiert haben.
Zur "Bohemian Rhapsody"-Fassung des California Guitar Trios übernimmt Manualist den Solopart von Mercury. Er hat sein Lieblingssweatshirt angezogen, sich auf seinen Lieblingsplatz auf seiner Lieblingscouch gesetzt und die beiden Lautsprecher Ohrensessel-gleich auf der Rückenlehne des tarnfarbenen Möbelstücks installiert. Jegliche Mimik versagt er sich, dafür ist der Körper konstant in peristaltischer Bewegung, als würde er aus allen Fasern die Töne hervormassieren. Die Finger öffnen sich ab und zu, als holten sie Luft. Während Mercurys unerhört wahnsinnigem Opernpart ("Scaramouche, Scaramouche, will you do the Fandango?") verwinden sich die geschmeidigen Glieder wie ein Python, der ein Kaninchen verdaut. Wie trifft Manualist nur jeden dieser hohen, nahezu grellen Töne?
Die starre Kamera, die eine einzige ungeschnittene Einstellung zeigt, entspricht der Attitüde des Interpreten; sie sind beide schon immer da: Manualist quietscht seit 37 Jahren mit seinen Händen, er hat vor der Erfindung des Internetvideos musiziert, und wird es auch noch tun, wenn YouTube vom Großen Beben aus dem kalifornischen San Bruno getilgt wird. Die Ringe an seinen Fingern sind Künstlerschmuck, neben ihm liegen CDs auf der Couch - Stoff für weitere Clips: Der Song, den er nicht hinbekommt, muss erst noch erfunden werden!
Gerade seine im Kontrast zur maximalen stilistischen Verrenkung von "Bohemian Rhapsody" stehende Steifheit macht Manualists Exzentrik so aufwühlend. Er demonstriert, dass eine Annäherung an das Original nur durch mutige Entfernung davon gelingen kann. Denn er ersetzt Mercurys Exzentrik durch eine ganz andere, ebenfalls überzeugende Exzentrik.
Als Queen einen Nachfolger für den verstorbenen Mercury suchten, um wieder auf Tour zu gehen, griffen sie daneben. Sie hätten Manualist, im Hauptberuf übrigens Waffenhändler in Michigan, mitnehmen müssen.
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