Knaller an der Zeitungsfront

Wednesday, September 05, 2007

Ikone wider Willen (SZ)

Manu Chao: "La Radiolina"
Ikone wider Willen
"Ich kann doch nicht depressiv werden nur wegen Bush", sagt Manu Chao und legt ein buntes neues Album frappierend guter Laune vor. Ein Gespräch mit dem Mann, der für die junge Linke ist, was einst Bob Dylan für die Hippies war.Von Alex Rühle

Erstens: Man hört sich Manu Chaos neues Album "La Radiolina" instinktiv laut an. Zweitens: Man muss dazu tanzen. Drittens: Man sollte es nicht im Auto hören, sonst rauscht man plötzlich ungewollt mit 190 Sachen über die Autobahn. Woher haben diese Songs ihre furiose Kraft? Liegt es daran, dass die 21 Titel auf "La Radiolina" selbst hintereinander wegrauschen, als hätte Manu Chao beim Aufnehmen Angst gehabt, dass sie nicht alle auf eine CD passen? An der frappierend guten Laune, mit der er seine Texte vorträgt? Weil es so nach bunter Werkstatt und feuerrotem Spielmobil klingt?

Manu Chao sitzt im Münchner Hofgarten und versucht, "feuerrotes Spielmobil" zu sagen. Das klingt wie Roberto Benigni, wenn er in "Stranger Than Paradise" Englisch spricht - viele Vokale, wo gar keine hingehören. Ausgemergelt sieht Manu Chao aus. Und trotzdem glücklich. Weil er in der Nacht zuvor die letzten Songs für "Radiolina" abgemischt hat. Endlich fertig. Aber ja, foyererotese Espilemovile!

Er erzählt von einer Tournee durch Kolumbien, von den Favelas in Caracas, von Mali und Argentinien, von all den Reisen, auf denen er gelernt habe, dass die Leute, die die echten Probleme haben, sich meist ihren Humor bewahren. Und sagt: "Ich kann doch nicht depressiv werden nur wegen Bush. Je schlimmer es ist, desto mehr brauche ich den Optimismus."

Durchgeknallt in Buenos Aires

Demnach muss es ganz schlimm stehen um die Welt, in der Manu Chao zu Hause ist. Denn auf "La Radiolina" geht es laut zu, bunt, überfüllt, wie an einer Kreuzung im Feierabendverkehr: Es gibt Auffahrunfälle zwischen südamerikanischen Balladen und krachendem Rumba, ein Ska-Schlagzeug treibt einen bummelnden Reggae vor sich her.

"Ah", sagt er, als gerade die Sonne hinter der Theatinerkirche verschwindet, befragt nach seinem Vorbild Bob Marley und der Besonderheit des Reggae, "Reggae has this magic, medicinal groove", diesen magischen, heilenden Rhythmus. Genau, denkt man: heilend.

Die Texte sind ebenfalls polyglotte Collagen. Zuweilen vermengt Manu Chao in ein und demselben Song Französisch, Spanisch, Portugiesisch, Italienisch, Englisch zu einer Art Globalisierungsneusprech.

Dazu kommt der Sound der Straße, Gelächter, Gequatsche, Radioschnipsel, und immer wieder Polizeisirenen, schnell geschnitten, krisselig, als habe sie jemand mit einer Handkamera auf einer Demo aufgenommen. Manchmal fließen im Hintergrund einige Melodienlinien aus einem der vorherigen Songs vorbei, wie aus einem Radio, mit dem man sich durch Weltfrequenzen schaltet.

Bono ist suspekt

Wer sich mal spätabends durchs Rauschen der Weltradiosender hört, kann weit hinten, in den Favelas von Buenos Aires, einen Jingle von Manu Chao entdecken: "Sie hören La Colifata LT22, live aus den Gärten der Nervenklinik José T. Borda." Seit 1991 machen die Patienten dieser Klinik ihr eigenes Radioprogramm, ein Arzt gründete den Sender, um, wie er sagte, "den Kranken eine Sprache zurückzugeben"

.La Colifata, das heißt im Slang von Buenos Aires so viel wie durchgeknallt. Manu Chao hat in den vergangenen Jahren viel mit den Insassen dieser Klinik zusammengearbeitet. Drei der Bewohner der Klinik treten im Video zu "Rainin' in paradize" auf, der ersten Singleauskopplung der neuen CD.

Sie fahren mit Manu Chao mit einem Laster durch die Elendsgebiete der Welt, er singt dazu über den politischen Wahnsinn in Liberia, im Kongo, im Irak, reimt "democracy" auf "atrocity" (Greuel), und man weiß nicht, wer verrückter ist, die vier bizarren Bewohner dieses Lasters oder die Welt, das alte Narrenschiff.

Der einzige offensiv politische Song "Politik kills" ist eines der stillsten Stücke. Eine Tex-Mex-Gitarre spielt auf, man denkt an Mariachi-Filme, aber dann kommt dieser ruhige Sprechgesang voller Fehler, vorgetragen in starkem Pidgin-Akzent: "Politik need Torpedos, Politik needs blood. That's why my friend / it's an evidence / Politik is violence."

Je öfter man es hört, diesen wiegenden Sound und dazu den naiven Text, desto trauriger, abgründiger wird der Song. Zugleich erinnert er in der zurückgenommenen Art des Vortrags und der kargen Instrumentierung an "Bongo Bong", diese großartige technische Panne, mit der Manu Chao 1999 weltberühmt wurde.

Eigentlich sollten damals schnelle Rhythmen dazu, beim Abhören waren die Rhythmusspuren verschwunden, es klang grotesk, die frei schwebenden, nackten Klänge, dazu im Hintergrund das penetrante: "Bing!" Das Lied ging wohl auch deshalb um die Welt, weil es so einen extrem analogen Klang hatte, etwas heimwerkermäßig Gutgelauntes.

Hierzulande hat man von Manu Chao seit 2001 nichts gehört, seit seinem Album "Próxima Estación: Esperanza". Er war aber nie weg, sondern tourte nur abseits der gängigen Welttourneepfade; tauchte ab, als ihn nach seinem Konzert auf dem G-8-Gipfel von Genua alle zur Ikone der Globalisierungsgegner machen wollten; traf Hugo Chávez und Fidel Castro; stieg beim Riesenlabel Virgin aus und ließ stattdessen selbstgebrannte CDs von Obdachlosen verkaufen.

Schrieb ein Kinderbuch, das nur an französischen Kiosken verkauft wurde, über Paris, "mein inneres Sibirien, einsamer als da kann man gar nicht sein". Sagte bei Live Earth ab, weil ihm Leute wie Geldof und Bono suspekt sind. Traf eines Nachts an einer Tankstelle in Argentinien den Regisseur Emir Kusturica, der gerade eine Dokumentation über Maradona drehte, weshalb Chao den Soundtrack für den Film komponiert hat.

Kleine große Hoffnung am Ende der Straße

Und im Frühjahr ist er zum ersten Mal durch die USA getourt. Stets spielte er da vor einem Plakat mit der Aufschrift "Immigrants are not criminals". Sein Großvater wurde unter Franco zum Tode verurteilt. Seine Eltern flohen vor der spanischen Diktatur in die Banlieue von Paris, wo der heute 46-Jährige aufwuchs. Immigranten aus Südamerika gaben sich bei ihm zu Hause die Klinke in die Hand.

Heute pendelt er zwischen Paris, Brasilien (dort lebt sein kleiner Sohn) und Barcelona, wo man ihn fast täglich irgendwo spielen hören kann. Er hat kein Studio und probt seine Songs Abend für Abend in den Bars. "Ich gehe zum Essen in eine Bar, ich schaue mir Fußballspiele in Bars an, ich mache Musik draußen. Eigentlich lebe ich auf der Straße."

"Me llaman calle", sie nennen mich Straße, heißt der eingängigste Song auf "La Radiolina". Komponiert hat er ihn für "Princesas", einen Spielfilm über die Freundschaft zweier Prostituierter in Madrid. Er beginnt wie einer dieser zwar kraftvollen aber auch monotonen Gipsy-Kings-Songs, ryhthmisches Händeklatschen, eine Flamenco-Gitarre, vier Terzen abwärts, und wieder von vorne. Darüber setzen sich dann zwei Gitarren mit Improvisationslinien, und Manu Chao singt zu der so dezidiert aufgeräumten Musik einen bodenlos traurigen Text über das harte Leben als Prostituierte und ihre kleinen großen Hoffnungen am Ende der Straße.

"La Radiolina" erscheint auf dem kleinen Label Because, wird aber in Deutschland von Warner vertrieben. Warner hat für die Interviewtermine eine Suite im Bayerischen Hof in München gemietet. Manu Chao sah all den brokatenen Bombast, machte auf dem Absatz kehrt und gab die Interviews im Freien.

Erst auf dem Promenadeplatz, später, als der Hunger kam, im Hofgarten, wo er bei Bier und Brotsalat erzählt, wie er Maradona mal in Neapel besucht hat. "Schrecklich, du kriegst ihn den ganzen Tag nicht zu Gesicht. Der ist ja noch kleiner als ich, man weiß immer nur, da, wo die Leute am allerdichtesten stehen, muss er irgendwo sein."

Ob ihm dasselbe Schicksal droht? Bisher kann er selbst in Barcelona halbwegs unbelästigt durch die Straßen schlendern und an irgendeiner Ecke eines seiner neuen Stücke ausprobieren. "La Radiolina" aber ist so gut, dass Manu Chao damit fast zwangsweise zum Weltstar werden dürfte. Ob es ihm gefällt oder nicht.
(SZ vom 4.9.2007)

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