Knaller an der Zeitungsfront

Thursday, June 07, 2007

"Saubere Rennen sind eine Illusion" (Berliner Zeitung)

Interview
"Saubere Rennen sind eine Illusion"
ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt über Radsport, rollende Apotheken und falsche Rücksicht auf Quoten

Herr Seppelt, wenn wir jetzt Radsport schauen, sehen wir dann sauberen Wettbewerb oder rollende Apotheken ?
Saubere Rennen sehen zu wollen ist eine komplette Illusion. Der Radsport hat nach wie vor ein massives Doping-Problem. Das konnte man etwa bei der Operación Puerto' in Spanien feststellen, geheimes Blutdoping europaweit in großem Stil. Das ist vermutlich in noch viel größerem Maßstab kriminell als das, was wir nach und nach aus den Neunzigern erfahren. Wenn wir die jüngsten Geständnisse von Radsportlern oder die Einlassungen des Giro-Siegers Danilo de Luca sehen, müssen wir davon ausgehen, dass der Generalverdacht gegenüber dem Radsport berechtigt ist.

Warum erfahren wir bislang wenig über die Ergebnisse der Operación Puerto, dem Doping-Skandal in Spanien ?
Große Teile des internationalen Sports haben nur ein bedingtes Interesse daran, das Problem Doping ehrlich anzugehen. Da überwiegen oft Lippenbekenntnisse und Aktionismus. Gerade in Spanien herrscht auf Sportverbandsseite kein großes Aufklärungsinteresse. Diese Mentalität existiert auch bei einer Reihe von Funktionären hierzulande. Es wäre aus meiner Sicht notwendig, auch Köpfe auszutauschen, um glaubhaft Veränderungen kenntlich zu machen. Die Grundhaltung vieler, die im Hochleistungssport tätig sind, muss sich ändern.

Am 7. Juli startet die Tour de France, werden Sie als Reporter dabei sein ?
Ich bin Teil des ARD-Teams bei der Tour de France und werde nach derzeitigem Stand Dopingthemen bearbeiten.

Sie haben in einer Phoenix-Sendung den Radsport insgesamt als "krank" bezeichnet. Nada-Chef Armin Baumert hat eingeräumt, es gäbe derzeit keine Lösung für das Doping-Problem. Ist es noch sinnvoll, umfänglich über die Tour' zu berichten?
Diese Problematik stellt sich nicht nur für den Radsport, sondern für alle Sportarten. Doping - das ist für viele immer nur das Doping der anderen. Mich stört die Doppelmoral und Heuchelei in der Diskussion, nicht erst seit heute. Angesichts des strukturellen Zwangs zur Manipulation im kommerziellen Spitzensport muss man fragen, wie Radio und Fernsehen, aber auch die anderen Medien sich aufstellen, um diese Thematik zu dokumentieren. Es liegt auf der Hand, dass ökonomischer Druck gegenüber dem Sport ein wirkungsvoller Weg für einen Reinigungsprozess sein könnte. Wer dem gedopten Sport das Geld entzieht, entzieht ihm zugleich die Grundlage, weiter zu machen wie bisher.

Ist der Hochleistungssport mehr als nur ein Spiegel der Gesellschaft?
Im Sport fokussiert sich das, was in der Gesellschaft passiert. Doping ist nichts anderes als eine besondere Spielart der Korruption. An der latent korrupten Melange sind viele beteiligt: Sportler, Funktionäre, Politiker, Lobbyisten, Sponsoren, PR-Manager, Journalisten, Betreuer und Ärzte. Alle wollen am Erfolg teilhaben. Es ist wie bei einer Nahrungskette, von der viele abhängig sind. Am Ende steht der Sportler als Dukatenesel.

Nicht nur der Molekularbiologe Werner Franke hat Sportjournalisten in diesem Zusammenhang der Kumpanei geziehen.
Es ist ein Problem des Berufsstandes, dass es Begeisterung für den Sport gibt und diese oft wichtiger ist als die Begeisterung für den Journalismus. Sportjournalisten tragen wegen der häufig unkritischen Grundhaltung zum Wesen des modernen Sports eine Mitverantwortung für die Missstände. Wenn ein Moderator fast entschuldigend sagt, wie ungern er doch über Doping berichte und hoffe, dass er es bald nicht mehr tun müsse, zeugt das von einem merkwürdigen Selbstverständnis. Ist es nicht notwendige Grundlage dieses Berufs, neugierig zu sein und einen Erkenntnisgewinn erzielen zu wollen? Der Sportchef Ihrer Zeitung, Jens Weinreich, hat das Bonmot geprägt, Sportjournalisten seien "die Fans die es über die Absperrung geschafft haben". Weinreich und andere kritische Kollegen wie Herbert Fischer-Solms vom Deutschlandfunk und Journalisten von Süddeutscher Zeitung und FAZ haben immer wieder auf Fehlentwicklungen des Sports hingewiesen.

Wie könnte ein zeitgemäßer, auch an Erkenntnissen orientierter Sportjournalismus aussehen ?
Ich denke, dass wir zurück zu den Wurzeln müssen. Einfache Standards wie die kritische Nachfrage und die Recherche sollten mehr in den Vordergrund gerückt werden. Top-Leistungen zum primären Maßstab von Berichterstattung zu machen, halte ich für den falschen Weg. Die Gier nach immer neuen Rekorden ist ohnehin nicht länger haltbar. Natürlich wären mehr Sendeplätze wünschenswert. Aber es tut sich jetzt einiges, in der ARD gibt es die neue Dopingredaktion beim WDR. Wir Sportjournalisten sind den Zuschauern schuldig, Glaubwürdigkeit nicht nur von anderen verlangen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Es kann auf Dauer nicht so sein, dass kritische Geschichten nur in den politischen Ressorts oder im Feuilleton verhandelt werden.

Befürworter der bisherigen Linie argumentieren, dass Sportrechte teuer erworben werden und die Fernsehsender deshalb bestimmte Arten der Inszenierungen wählen müssen - vor allem, um hohe Einschaltquoten zu erzielen.
Das kann kein Kriterium sein. Journalistische Grundsätze müssen auch für den Sport gelten. Würde man bei der "Tagesschau" die Ausstrahlung eines Berichts über die Bundeskanzlerin davon abhängig machen, wie attraktiv sie am Bildschirm rüberkommt? Ich stelle mir schon manchmal die Frage, warum die Berichterstattung über Sport dramaturgisch überhöht werden muss, wo doch das Sportereignis durch seine naturgemäße Dramaturgie ohnehin Unterhaltungscharakter hat? Wir sollten so ehrlich sein, den Sport so darzustellen und zu benennen, wie er wirklich ist.

Aber Doping gilt gemeinhin als Quotenkiller.
Ich bestreite, dass Doping ein Quotenkiller sein muss. Am letzten Sonntag erhöhte sich beim RBB-"Sportplatz" der Marktanteil um satte zwei Prozent, als das Doping das Thema war. 20 000 Zuschauer mehr auf einen Schlag - und das soll ein Quotenkiller sein?

Sie waren viele Jahre Live-Reporter beim Schwimmen, bis Sie zum Ende der Ära Boßdorf kaltgestellt wurden. Im Zuge der Doping-Skandale zählen Sie nun zu den gefragtesten Journalisten - erfüllt Sie das mit einer gewissen Genugtuung?
Mir macht mein Beruf Spaß, ich bin gerne Journalist. Wir lernen in diesen Tagen noch einiges mehr über den Sport, was ich spannend und aufregend finde. Insofern bin ich sicher zufriedener als noch vor einem Jahr.
Das Interview führte Rainer Braun.
Berliner Zeitung, 07.06.2007

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