Die Selbstvergessenheit des Westens (Tagesspiegel)
(08.01.2007)
Die Selbstvergessenheit des Westens
Europa knickt vor dem Islam ein und verleugnet Aufklärung und Säkularisierung, meint Henryk M. BroderVon Armin Laschet
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Das Recht zu beleidigen“, zitiert Henryk M. Broder den britischen Darsteller des Mr. Bean, sei „sehr viel wichtiger als das Recht, nicht beleidigt zu werden“. Diese Grundthese zieht sich wie ein roter Faden durch das streitbare Buch des Publizisten Broder, der der westlichen Gesellschaft in einer amüsanten und frischen Sprache den Spiegel vorhält. Amüsant allerdings nur für diejenigen, die es mit der political correctness nicht allzu genau nehmen. Denn die Schlagkraft seiner Argumente speist sich vor allem aus subtilen Vergleichen.
„Hurra, wir kapitulieren“ beschreibt „die Lust am Einknicken“ einer dekadenten, westlichen Gesellschaft, die nicht mehr bereit ist, für die Werte der Aufklärung, für die Freiheit des Geistes einzutreten. Ihr steht eine islamische Welt gegenüber, die nach Broders Einschätzung klar, kraftvoll und kompromisslos Europa einschüchtert und systematisch ihre Werteordnung aufnötigt. Was in Poitiers (732) und vor Wien (1683) nicht gelungen sei, gelinge heute mit den Mitteln der Demografie, meint Broder.
Dabei vereinfacht er seine Beispiele so stark, dass sie teilweise an Überzeugungskraft verlieren. Er bringt den Tod des holländischen Filmemachers Theo van Gogh und den Karikaturenstreit damit in Verbindung, dass es arabischstämmige Jugendliche waren, die sich 2005 in den Pariser Vororten Schlachten mit der Polizei lieferten. Dabei haben die Vorstadtunruhen eher mit sozialer Ausgrenzung und Perspektivlosigkeit in Frankreich zu tun als mit dem Islam. Muslime aus anderen französischen Vierteln haben sich schließlich auch nicht beteiligt.
Broder belegt an exemplarischen Beispielen die Feigheit Europas vom Einknicken beim Karikaturenstreit über den Umgang mit der Hamas in Palästina und der iranischen Außenpolitik bis hin zur Kritik der 60 Migrationsforscher an der Autorin Necla Kelek. Diese Politik nennt er „Appeasement“ ganz im Sinn der gleichnamigen Politik der Briten und Franzosen in den 1930er Jahren, die gegenüber Hitler und dem Nationalismus außenpolitisch zu nachgiebig war.
Ein gewagter Bogen, den man dem jüdischen Publizisten, der 1946 in Kattowitz geboren wurde und von seinen Eltern das „Und-dafür-haben-wir-überlebt“-Prinzip der Erziehung vermittelt bekam, abnimmt. Der Appeasement-Vergleich klingt bei Broder allerdings so, als ob von muslimischer Seite diese schlaffe Strategie geradezu einkalkuliert wird, um Europa moralisch zu unterwandern. Nähme man seine Polemik wörtlich, könnte man aus „Hurra, wir kapitulieren“ eine Verschwörung der gesamten islamischen Welt herauslesen. Eine Verschwörung von „1,5 Milliarden Moslems in aller Welt, die chronisch zum Beleidigtsein und unvorhergesehenen Reaktionen neigen“.
Nicht zuletzt nach den Ergebnissen der Studie „Deutsche Zustände 2006“ des Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer und dem Bericht der Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC), die beide eine verstärkte Islamfeindlichkeit in der deutschen Gesellschaft wahrnehmen, stellen sich Broders Fragen allerdings neu: Wie ist unser Umgang mit dem Islam? Was ist innenpolitisch das Ziel und die Möglichkeit unserer Integrationspolitik und was ist außenpolitisch das Leitbild europäischer Staatskunst?
Integration bedeutet, denen, die selbst oder deren Eltern nach Deutschland eingewandert sind, alle Perspektiven zur Bildung und zu einer Karriere zu eröffnen – ohne Diskriminierung aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer Religion. Integration bedeutet Perspektivlosigkeit abbauen, für muslimische und nichtmuslimische Jugendliche. Das ist keine Kapitulation, sondern uneigennütziges Interesse einer älter werdenden Gesellschaft, die jedes Potenzial hier geborener Kinder fördert und kulturelle Unterschiedlichkeit akzeptieren muss. Dieses Plädoyer, diese Differenzierung fehlt bei Broder.
Andererseits darf dies nicht zur Aufgabe unserer freiheitlichen Gesellschaft führen. Der Grundgedanke des Buches – nämlich sich gegen eine als „Gutmenschentum“ getarnte, „vorauseilende Kapitulation“ vor islamischem Terror zu wehren – ist ein berechtigtes, wenn nicht gar scharfsinniges Anliegen Broders in einem Zeitalter, dass immer mehr Kulturkonflikte austrägt. Er legt, wenn auch überspitzt und zuweilen mit verkürzter Logik, den Finger auf die Wunde unserer Zeit.
Zwar ist Broders Buch vor Absetzung der „Idomeneo-Oper“ in Berlin und vor der Reaktion auf die Rede des Papstes in Regensburg geschrieben. Doch diese beiden Ereignisse hätten Broder in seiner Einschätzung bestätigt. Die schwer erträgliche Feigheit des Berliner Innensenators Körting, der einer Intendantin rät, eine Oper abzusetzen, „weil ich täglich an ihrem schönen Opernhaus vorbeifahre und nicht erleben will, das es nicht mehr steht“, wäre für Broder der perfekte Beweis für die Lust am Einknicken. Wenn man bedenkt, dass – im Gegensatz zum rot-roten Berliner Senat – die muslimischen Verbände in Deutschland keinen Grund sahen, die Oper abzusetzen, wirkt das resignative Verhalten der Berliner Behörde regelrecht beunruhigend. Insofern rüttelt Broder wach. Er fordert auf, für unsere Freiheiten einzutreten.
Wenn bei uns hunderte von Kirchen geschlossen oder verkauft, gleichzeitig aber Moscheen gebaut werden, dann ist das nicht die Schuld der bei uns lebenden Muslime. Wenn wir aber gegenüber Muslimen jede Empfindsamkeit akzeptieren und zurückweichen, die wir gegenüber christlichen Gläubigen nie akzeptieren würden, dann ist das eine interessante Verschiebung unserer Wahrnehmung. Broder zitiert Lars Hedegaard und Helle Merete Brix, die die Reaktion der dänischen Eliten auf die Formel bringen, dass diese heute das Recht auf freie Meinungsäußerung einschränken wollen, um Muslime nicht zu beleidigen, „nachdem sie Jahrzehnte damit beschäftigt waren, jeden zu loben und zu preisen, der es darauf abgesehen hatte, die Angehörigen der christlichen Religion zu beleidigen“.
Es fällt nicht immer leicht, Broder in seiner Polemik, verdichtet auf 167 Seiten, zu folgen. Aber er regt zum Nachdenken an. Er fordert zum Selbstbewusstsein einer freien Gesellschaft auf – das leider nicht mehr selbstverständlich ist. Und er rüttelt die wach, die durch falsch verstandene Toleranz innen- und außenpolitisch nicht mehr für unsere Freiheit eintreten. Das Beispiel vieler Muslime in Deutschland, das Beispiel mutiger türkischer Autorinnen zeigt jedoch, dass auch unter den Zuwanderern die Bereitschaft wächst, ihren Glauben mit den Werten der Freiheit zu versöhnen. Das ist Teil einer gemeinsamen Leitkultur, die das Gegenmodell zur Kapitulation ist.
Der Autor ist Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration von Nordrhein-Westfalen.
Die Selbstvergessenheit des Westens
Europa knickt vor dem Islam ein und verleugnet Aufklärung und Säkularisierung, meint Henryk M. BroderVon Armin Laschet
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Das Recht zu beleidigen“, zitiert Henryk M. Broder den britischen Darsteller des Mr. Bean, sei „sehr viel wichtiger als das Recht, nicht beleidigt zu werden“. Diese Grundthese zieht sich wie ein roter Faden durch das streitbare Buch des Publizisten Broder, der der westlichen Gesellschaft in einer amüsanten und frischen Sprache den Spiegel vorhält. Amüsant allerdings nur für diejenigen, die es mit der political correctness nicht allzu genau nehmen. Denn die Schlagkraft seiner Argumente speist sich vor allem aus subtilen Vergleichen.
„Hurra, wir kapitulieren“ beschreibt „die Lust am Einknicken“ einer dekadenten, westlichen Gesellschaft, die nicht mehr bereit ist, für die Werte der Aufklärung, für die Freiheit des Geistes einzutreten. Ihr steht eine islamische Welt gegenüber, die nach Broders Einschätzung klar, kraftvoll und kompromisslos Europa einschüchtert und systematisch ihre Werteordnung aufnötigt. Was in Poitiers (732) und vor Wien (1683) nicht gelungen sei, gelinge heute mit den Mitteln der Demografie, meint Broder.
Dabei vereinfacht er seine Beispiele so stark, dass sie teilweise an Überzeugungskraft verlieren. Er bringt den Tod des holländischen Filmemachers Theo van Gogh und den Karikaturenstreit damit in Verbindung, dass es arabischstämmige Jugendliche waren, die sich 2005 in den Pariser Vororten Schlachten mit der Polizei lieferten. Dabei haben die Vorstadtunruhen eher mit sozialer Ausgrenzung und Perspektivlosigkeit in Frankreich zu tun als mit dem Islam. Muslime aus anderen französischen Vierteln haben sich schließlich auch nicht beteiligt.
Broder belegt an exemplarischen Beispielen die Feigheit Europas vom Einknicken beim Karikaturenstreit über den Umgang mit der Hamas in Palästina und der iranischen Außenpolitik bis hin zur Kritik der 60 Migrationsforscher an der Autorin Necla Kelek. Diese Politik nennt er „Appeasement“ ganz im Sinn der gleichnamigen Politik der Briten und Franzosen in den 1930er Jahren, die gegenüber Hitler und dem Nationalismus außenpolitisch zu nachgiebig war.
Ein gewagter Bogen, den man dem jüdischen Publizisten, der 1946 in Kattowitz geboren wurde und von seinen Eltern das „Und-dafür-haben-wir-überlebt“-Prinzip der Erziehung vermittelt bekam, abnimmt. Der Appeasement-Vergleich klingt bei Broder allerdings so, als ob von muslimischer Seite diese schlaffe Strategie geradezu einkalkuliert wird, um Europa moralisch zu unterwandern. Nähme man seine Polemik wörtlich, könnte man aus „Hurra, wir kapitulieren“ eine Verschwörung der gesamten islamischen Welt herauslesen. Eine Verschwörung von „1,5 Milliarden Moslems in aller Welt, die chronisch zum Beleidigtsein und unvorhergesehenen Reaktionen neigen“.
Nicht zuletzt nach den Ergebnissen der Studie „Deutsche Zustände 2006“ des Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer und dem Bericht der Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC), die beide eine verstärkte Islamfeindlichkeit in der deutschen Gesellschaft wahrnehmen, stellen sich Broders Fragen allerdings neu: Wie ist unser Umgang mit dem Islam? Was ist innenpolitisch das Ziel und die Möglichkeit unserer Integrationspolitik und was ist außenpolitisch das Leitbild europäischer Staatskunst?
Integration bedeutet, denen, die selbst oder deren Eltern nach Deutschland eingewandert sind, alle Perspektiven zur Bildung und zu einer Karriere zu eröffnen – ohne Diskriminierung aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer Religion. Integration bedeutet Perspektivlosigkeit abbauen, für muslimische und nichtmuslimische Jugendliche. Das ist keine Kapitulation, sondern uneigennütziges Interesse einer älter werdenden Gesellschaft, die jedes Potenzial hier geborener Kinder fördert und kulturelle Unterschiedlichkeit akzeptieren muss. Dieses Plädoyer, diese Differenzierung fehlt bei Broder.
Andererseits darf dies nicht zur Aufgabe unserer freiheitlichen Gesellschaft führen. Der Grundgedanke des Buches – nämlich sich gegen eine als „Gutmenschentum“ getarnte, „vorauseilende Kapitulation“ vor islamischem Terror zu wehren – ist ein berechtigtes, wenn nicht gar scharfsinniges Anliegen Broders in einem Zeitalter, dass immer mehr Kulturkonflikte austrägt. Er legt, wenn auch überspitzt und zuweilen mit verkürzter Logik, den Finger auf die Wunde unserer Zeit.
Zwar ist Broders Buch vor Absetzung der „Idomeneo-Oper“ in Berlin und vor der Reaktion auf die Rede des Papstes in Regensburg geschrieben. Doch diese beiden Ereignisse hätten Broder in seiner Einschätzung bestätigt. Die schwer erträgliche Feigheit des Berliner Innensenators Körting, der einer Intendantin rät, eine Oper abzusetzen, „weil ich täglich an ihrem schönen Opernhaus vorbeifahre und nicht erleben will, das es nicht mehr steht“, wäre für Broder der perfekte Beweis für die Lust am Einknicken. Wenn man bedenkt, dass – im Gegensatz zum rot-roten Berliner Senat – die muslimischen Verbände in Deutschland keinen Grund sahen, die Oper abzusetzen, wirkt das resignative Verhalten der Berliner Behörde regelrecht beunruhigend. Insofern rüttelt Broder wach. Er fordert auf, für unsere Freiheiten einzutreten.
Wenn bei uns hunderte von Kirchen geschlossen oder verkauft, gleichzeitig aber Moscheen gebaut werden, dann ist das nicht die Schuld der bei uns lebenden Muslime. Wenn wir aber gegenüber Muslimen jede Empfindsamkeit akzeptieren und zurückweichen, die wir gegenüber christlichen Gläubigen nie akzeptieren würden, dann ist das eine interessante Verschiebung unserer Wahrnehmung. Broder zitiert Lars Hedegaard und Helle Merete Brix, die die Reaktion der dänischen Eliten auf die Formel bringen, dass diese heute das Recht auf freie Meinungsäußerung einschränken wollen, um Muslime nicht zu beleidigen, „nachdem sie Jahrzehnte damit beschäftigt waren, jeden zu loben und zu preisen, der es darauf abgesehen hatte, die Angehörigen der christlichen Religion zu beleidigen“.
Es fällt nicht immer leicht, Broder in seiner Polemik, verdichtet auf 167 Seiten, zu folgen. Aber er regt zum Nachdenken an. Er fordert zum Selbstbewusstsein einer freien Gesellschaft auf – das leider nicht mehr selbstverständlich ist. Und er rüttelt die wach, die durch falsch verstandene Toleranz innen- und außenpolitisch nicht mehr für unsere Freiheit eintreten. Das Beispiel vieler Muslime in Deutschland, das Beispiel mutiger türkischer Autorinnen zeigt jedoch, dass auch unter den Zuwanderern die Bereitschaft wächst, ihren Glauben mit den Werten der Freiheit zu versöhnen. Das ist Teil einer gemeinsamen Leitkultur, die das Gegenmodell zur Kapitulation ist.
Der Autor ist Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration von Nordrhein-Westfalen.
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