Knaller an der Zeitungsfront

Thursday, February 28, 2008

"Es muss brezeln" (taz)

14.02.2008
"Es muss brezeln"
Moses Schneider produziert Platten von Jens Friebe, Peter Licht und den Beatsteaks. Dafür wird er vom Feuilleton geliebt und ist nun zwei Mal für den Echo-Preis nominiert.
VON THOMAS WINKLER

Moses Schneider weiß, was Rockbands wünschen. "Der Kühlschrank ist voll!", verkündet er breit grinsend. Und tatsächlich: Im weißen Ungetüm in der Ecke der Fabriketage wartet eine Batterie Flaschbier. Die Musiker, die hier auf speckigen Sofas auf ihren nächsten Einsatz warten, wollen schließlich bei Laune gehalten werden. Und die erste Pflicht eines Musikproduzenten wie Schneider ist es, für kreative Stimmung zu sorgen.

Doch es sind nicht in erster Linie die Qualitäten von Moses Schneider als Getränkelieferant, die für seinen mittlerweile legendären Ruf in der deutschen Musiklandschaft gesorgt haben. Der 42-Jährige ist verantwortlich für einige der erfolgreichsten Schallplatten der vergangenen Jahre. Seine Arbeit wird immer von der Kritik geschätzt und oft auch vom Publikum.

Unter seiner Regie stürmten die Beatsteaks, eine zuvor allgemein als eher durchschnittlich eingestufte Berliner Punkband, an die Spitze der deutschen Charts. Auf Platten von Seeed, Fehlfarben, der ehemaligen Skunk-Anansie- Sängerin Skin, Peter Licht, Ohrbooten, Jens Friebe und Mediengruppe Telekommander findet sich sein Name. Auch die letzten beiden, sehr überzeugenden Alben von Tocotronic hat er produziert, und Peter Thiessen, der Schneider für die letzte vorzügliche CD seiner Band Kante engagierte, hat seinen kürzlich geborene Sohn auf den Namen Oscar Moses taufen lassen. Und nun beginnt auch das Musik-Establishment die Künste des Produzenten zu würdigen: Für den deutschen Musikpreis Echo, der am 15.2. in Berlin feierlich verliehen wird, ist Schneider gleich zwei Mal nominiert: Für seine Arbeit an "Kapitulation" von Tocotronic und "Limbo Messiah" von den Beatsteaks.

Vor allem Rockbands sind es, die es nach Berlin ins Transporterraum-Studio zieht, das Schneider zusammen mit seinem Partner Ben Lauber betreibt. Dort mischt er die Stücke ab, die er zuvor am liebsten im ChezCherie-Studio aufgenommen hat, einer weitgehend gewöhnlichen Kreuzberger Fabrik-Etage, die von einem Künstler-Pärchen bewohnt wird. Neben der familiären Atmosphäre schätzt Schneider vor allem die Beton-Decke, die die Höhen verteilt "wie ein Springbrunnen" und so für einen harmonischen Gesamtsound sorgt.

Unter dieser Decke gruppiert Schneider an einem trüben Frühwintertag Kettcar. Die Hamburger Band nimmt vier Songs ihres neuen Albums, das im kommenden April erscheinen soll, mit dem Produzenten auf. Dessen Arbeit in den ersten Stunden besteht darin, zusammen mit dem Sound-Engineer die verschiedenen Mikrofone im Raum zu platzieren, Instrumente und Verstärker zu verkabeln. Einzelne dieser Klang-Settings tragen Namen wie "Wurst1" oder "Ghettoblaster". Ein Mikrofon liegt am Boden direkt hinter dem Schlagzeugschemel und ist mit Duct-Tape auf einem Frühstücksbrettchen fixiert. Effektgeräte heißen bei Schneider "Ratte" oder "Tretmine", gegessen werden Kartoffelchips. "Für Studio-Füchse ist das hier nichts", sagt Kettcar-Sänger Marcus Wiebusch.

Wenn nach zähen, von missglückten Metaphern und lautmalerischen Wortneuschöpfungen geprägten Diskussionen der gesuchte Gesamtsound gefunden ist, dann stellt Schneider seine Klienten im Kreis auf und lässt sie einfach losspielen. Aufgenommen werden alle Instrumente gleichzeitig, und während andere Produzenten sich dabei hinter schallsicherem Glas verschanzen, steht Schneider mitten zwischen der Band, eine Selbstgedrehte zwischen den Zähnen, rudert mit den Armen, schneidet Grimassen zu den Gitarrenriffs, schüttelt den wirren Haarschopf im Rhythmus und gibt Einsätze. Alle sollen "gemeinsam schwitzen", sagt er. Und das immer wieder: Take folgt auf Take, "manchmal 40 Mal", lächelt Schneider, der bei den Aufnahmen ungleich euphorischer wirkt als die norddeutsch zurückhaltende Band. Eine neue Erfahrung auch für Kettcar-Gitarrist Erik Langer: "Das ist extrem emotional, fast ein bisschen freakig". Im Ergebnis aber "fühlt man sich wieder wie ein Musiker", findet Sänger Wiebusch, "nicht mehr nur wie ein Erfüllungsgehilfe".

Tatsächlich wirkt der Kettenraucher Schneider ganz und gar nicht wie einer der üblichen Knöpfchendreher, die sich Produzent nennen. Für den technischen Ablauf ist ein Assistent zuständig, und der sagt nur leicht ironisch: "Wir machen alles mögliche, um keinen sauberen Sound zu haben". Schneider ist eher ein Dirigent und tatsächlich ist seine Arbeitsweise bei Klassik- und Jazz-Aufnahmen bis heute Standard. In der üblichen Rockproduktion allerdings wird jeder Musiker einzeln in den Aufnahmeraum geschickt, gewöhnlich zuerst Schlagzeuger, dann Bassist und schließlich Keyboarder und Gitarristen. Ein Vermächtnis aus der Disco-Zeit Ende der Siebziger Jahre, als die Studio-Aufnahmen immer aufwändiger und die Produzenten immer selbstverliebter wurden. Heute wird gewöhnlich zum Clicktrack aufgenommen, einem elektronischen Metronom, mit dem die einzelnen Spuren dann anschließend im Computer synchronisiert werden können.

"Kein Clicktrack, darauf haben wir uns spezialisiert", sagt Schneider. Mit seiner in der europäischen Rockmusik nahezu einzigartigen Methode will der gebürtige Berliner herausarbeiten, was er "Spielgefühl" nennt. "Spielgefühl" ist Schneiders Lieblingswort. Öfter sagt er nur noch "coole Scheiße". Dann nämlich, wenn er es geschafft hat, bei einer Band dieses Spielgefühl zu evozieren. Es bezeichnet jene seltsame, schwer zu greifende Magie, die entsteht, wenn Menschen zusammen Musik machen, wenn etwas entsteht, was mehr ist als die Summe der einzelnen Teile. "Das, was eine Band einzigartig macht, das ist ja das Gefühl für Timing und für Tempo", sagt Schneider, "und das will ich auf Band bringen."

Gelernt hat der aus einer Musikerfamilie stammende Schneider sein Handwerk in den legendären Hansa-Studios. Dort, wo wegweisende Alben von U2, Depeche Mode, David Bowie oder später Nick Cave entstanden, hat er nach einem drei Wochen währenden Studium als Kaffeekocher angefangen und dann jahrelang als Assistent gearbeitet. Ende der Achtziger Jahre standen dann plötzlich die Pixies im Studio und wollten einen Song aufnehmen für ihr Album "Bossanova". Schneider war zwar ganz allein, aber stellte den Post-Punkern kurzentschlossen die Regler ein. Die dankten es ihm mit einem Vermerk auf der Platte, seinem ersten.

Mittlerweile ist das "Wunderkind" (Der Tagesspiegel) zum "Starproduzent" (taz) aufgestiegen, ist einer gar, der Bands einen Sound verpasst, der "international konkurrenzfähig" (Die Zeit) ist. Zuletzt wurde sogar das Londoner Dancefloor-Duo Basement Jaxx vorstellig und hat sich vom Rockproduzenten Schneider aufnehmen lassen. Auch sie dürften an dem nach Selbsteinschätzung Besessenen geschätzt haben, was Tocotronics Dirk von Lowtzow so beschreibt: "Moses ist verrückt, aber auch extrem effektiv".

Der Verrückte selbst glaubt allerdings, dass seine ganze Zunft demnächst kaum noch vonnöten sein wird. "Der Produzent wird aussterben", sagt Schneider. Studios, nicht nur die teuren, sondern auch ein solch improvisiertes, wie er es benutzt, werden dank der sinkenden Umsätze im Musikgeschäft zukünftig kaum noch finanziert werden können.

Eine Alternative könnte eine Weiterentwicklung seiner Arbeitsweise sein. Schon jetzt bereitet Schneider mit den Bands in deren Probenraum "ohne Zeit- und Geldstress" die Aufnahmen vor, oft wochenlang. "Mit der Band zusammen wachsen", nennt er das, und als praktischer Nebeneffekt kommt die Band mit bereits fertig arrangierten Songs ins Studio, die so viel effektiver aufgenommen werden können. "Das Studio ist dann nur noch eine Art Theater- Aufführung", beschreibt es Schneider. Diese Aufnahmen erfolgen dann schon heute mit kleinem Equipment, das in einem PKW transportiert werden kann. "Der Übungsraum ist das Tonstudio von morgen", prophezeit Schneider der Rockmusik eine ähnliche Entwicklung wie sie in der elektronischen Musik schon Gegenwart ist.

Erst einmal aber gilt es, den richtigen Sound für zu finden für den Song, der den Arbeitstitel "Würde" trägt. "Zu muffig", findet einer den Klang. "Es müsste mehr brezeln", sagt ein anderer. "Bratfettig", "altbacken", "doomig", "wie ein Rasier-Apparat". So ein Nachmittag im Tonstudio beweist vor allem wieder einmal die alte Weisheit, dass man über Musik nicht sprechen kann, sonst könnte man zu Architektur ja auch tanzen.

Das größte Talent von Schneider ist es wohl, diese so ziel- wie endlosen, entnervenden Diskussionen geschickt zu manipulieren und die Band davor zu bewahren, sich in der eigenen Detailverliebtheit zu verlieren und zu viel an Kleinigkeiten zu tüfteln. "90 Prozent Psychologie" sei sein Job, sagt er. Und: "Mir kommt es so vor, als sei ich ein Fußball-Trainer". Der stellt die Mannschaft auf, aber spielen müssen die anderen. Und das tun sie. Immer wieder und wieder. Bis sich im Laufe des Nachmittags "Würde" ganz vorsichtig verändert. Langsam aber sicher wird der Song immer kompakter und der Kühlschrank wird immer leerer, und plötzlich, irgendwann, auf einmal, in Take fünf oder sechs oder vielleicht auch sieben spielen Kettcar das Stück auf den Punkt. Die Musik verklingt, ein paar verlorene Rückkopplungen irren noch durch den Raum, Moses Schneider hat die Arme hochgerissen wie ein Stürmer nach dem Torerfolg und blickt in die Runde. Und jeder weiß: Das war's jetzt. Das war der Moment. Das war jetzt "coole Scheiße".

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