Knaller an der Zeitungsfront

Thursday, February 28, 2008

Jagd im Nebel (Tagesspiegel)

Jagd im Nebel
Alexander Litwinenko: Sein ungeklärter Tod wird Putin nachhängen, er wird Medwedew ins Amt begleiten – und das, obwohl nun Spuren öffentlich geworden sind, die nicht mehr allein nach Moskau führen. Aber wieder führen sie zu einem alten Bekannten: Andrej Lugowoj. Begegnung mit einem mutmaßlichen Mörder
Von Jens Mühling, Moskau/London 27.2.2008

Als alles gesagt ist, beugt sich Andrej Lugowoj noch einmal über den Schreibtisch, seine Augen funkeln, sein Atem riecht nach Minze und männlichem Selbstbewusstsein. „Alle reden von einem neuen Kalten Krieg“, sagt er leise. „Aber neu ist daran nichts. Er hat nie geendet, der Kalte Krieg.“ Ein düsteres Lächeln, und die Audienz mit dem Mann, der Alexander Litwinenkos Mörder sein könnte, ist beendet.

Moskau. Ein Wintertag kurz vor den Präsidentschaftswahlen. Sie strotzt vor Selbstbewusstsein, diese Stadt, sie hat sich in Schale geworfen, sie trägt weiß, blau und rot, die russischen Nationalfarben. Symbole der Stärke, wohin man auch blickt, gigantische Baustellen, triumphale Neubauten, deren Fronten hinter Wahlplakaten verschwinden. Sie bäumt sich auf, diese Zwölf-Millionen-Metropole, ihr Antlitz funkelt, ihr Atem riecht nach Staub und nach Stolz. Wir sind wieder wer, sagt diese Hauptstadt, sie sagt es für das ganze Land: Wir sind wieder da.

Ein paar Tage noch, dann will Wladimir Putin das Präsidentenamt abgeben an seinen auserkorenen Nachfolger Dmitri Medwedew, die Wahlplakate versprechen einen geordneten Wachwechsel. Und obwohl sich dieser Medwedew derzeit überall als umgänglicher Mann präsentiert, dürfte sich wenig ändern an der harten Interessenpolitik dieses neu erstarkten Staates, der so viel Gefallen gefunden hat an der Konfrontation mit dem Westen. Da war der Gaskrieg mit der Ukraine. Der Konflikt um die US-Raketenabwehr. Putins Drohrede in München. Und nicht zuletzt war da ein Mordfall, der das Klima zwischen Russland und dem Westen so nachhaltig ramponierte, dass manche von einem neuen Kalten Krieg zu sprechen begannen.

Alexander Litwinenko. Die halbe Welt kennt den Namen des abtrünnigen russischen Geheimdienstlers, der am 23. November 2006 im Londoner Exil starb. Sein ungeklärter Tod wird Putin nachhängen, er wird Medwedew ins Amt begleiten, er wird den Westen weiter um den richtigen Umgang mit Russland rätseln lassen. Es mag ruhiger geworden sein um den Mordfall, doch hinter den Kulissen wird weiter gerungen. Kurz vor seinem Tod war Litwinenko eingebürgert worden, ein Brite also war ermordet worden, mitten in London, mit einem radioaktiven Gift, Polonium, das Spuren in der halben Stadt hinterließ. Spuren, die die britischen Behörden bald zu einem Verdächtigen führten, den Moskau nicht auslieferte, weil es die Landesverfassung verbot. Vier russische Diplomaten wies London daraufhin aus, vier Briten mussten Moskau verlassen, die Engländer erschwerten die Visavergabe für Russen, der Kreml schloss Filialen des britischen Kulturinstituts British Council. Die Affäre ist nicht ausgestanden, sagt London bis heute. Nicht, solange der Täter frei herumläuft.

Der mutmaßliche Täter aber läuft nicht nur frei herum, er ist inzwischen sogar Abgeordneter der russischen Staatsduma und damit immun gegen Strafverfolgung. In Moskau geht er ungehindert seiner Arbeit nach, er betreibt eine Personenschutzagentur, deren Büro in einem Vier-Sterne-Hotel mit Blick auf die Moskwa liegt. Und hier empfängt der Mann, der Litwinenko Gift in den Tee geschüttet haben soll, mitunter sogar Gäste.

Ein stummes Nicken. Kein Lächeln. Kein Tee. Andrej Lugowoj, ein ehemaliger Personenschützer des russischen Geheimdiensts, ist ein schmaler, aber äußerst durchtrainierter Mann Anfang 40, dessen konzentrierter Blick nicht eine Sekunde vom Gesprächspartner ablässt. Die Gratulation zum Wahlsieg quittiert er mit einem Nicken, die Frage nach seinem Tätigkeitsfeld in der Duma mit knappen Auskünften: Sicherheit und Wirtschaft, wie es sein Hintergrund nahelege. In der Tat hat Lugowoj in Russland einen gewissen Ruf als Geschäftsmann: Zu seinen Kunden soll die halbe Moskauer Wirtschaftselite zählen, sein Dollarvermögen siedeln russische Medien im zwei- bis dreistelligen Millionenbereich an.

Bei der Frage, warum er ausgerechnet für die Partei des Ultranationalisten Wladimir Schirinowski kandidiert habe, muss Lugowoj lächeln. „Weil ich wie Schirinowski für ein starkes Russland bin“, sagt er. Aus dem Lächeln wird ein Grinsen: „Für ein Russland, das seine Feinde kennt.“ Und plötzlich wechselt Lugowoj Tempo und Lautstärke, in atemlosem Russisch feuert er eine Anklagerede heraus: Russlands Feind sei Großbritannien, London wünsche Moskau die Pest an den Hals, man müsse sich bloß die britisch-russische Geschichte ansehen, Feindschaft seit 150 Jahren: Mit dem Krimkrieg habe es begonnen, und der vorläufige Höhepunkt sei die Provokation, die sich mit seinem, mit Lugowojs Namen verbinde: „Die Litwinenko-Affäre ist der zynische Versuch, Russland als Staat zu diskreditieren.“

Er selbst, sagt Lugowoj, habe Litwinenko Ende der 90er Jahre kennengelernt, flüchtig, im Umfeld des Oligarchen Boris Beresowski. Natürlich habe er gewusst, mit wem er es zu tun hatte: Alexander Litwinenko, der berühmte Geheimdienst-Renegat, der 1998 in Moskau öffentlich verkündet hatte, ebenjener Geheimdienst, der FSB, wolle Beresowski ermorden. Dann war er nach England geflohen, ein Jahr vor Beresowski. Aus dem Exil heraus schrieben beide dem FSB die Terroranschläge zu, mit denen 1999 der zweite Tschetschenienkrieg rechtfertigt worden war, Litwinenko schrieb ein ganzes Buch darüber. Litwinenko, der Verräter. Jeder Geheimdienstler in Russland kannte seinen Namen. Sein Konterfei soll bei FSB-Schießübungen als Zielscheibe benutzt worden sein.

Enger bekannt, sagt Lugowoj, sei er mit Litwinenko nie gewesen, sie hätten sich immer gesiezt, er habe ihn nie gemocht. Dann aber, im November 2005, habe Litwinenko ihm einen Geschäftskontakt zu einer britischen Firma vermitteln wollen. Schnell habe sich herausgestellt, worum es ihm wirklich ging: „Er brachte mich mit britischen Agenten in Kontakt, die mich anwerben wollten. Sie spekulierten auf Informationen über meine Kunden. Litwinenko hoffte, dass der Kontakt zu mir sein Ansehen bei den Briten steigern würde. Er hatte ja nichts mehr zu verkaufen, sein Wissen über den FSB war abgeschöpft, seine Verschwörungstheorien nahm niemand mehr ernst.“

Den angeblichen Werbeversuch kommentieren die britischen Behörden genausowenig wie das Gerücht, Litwinenko habe für einen ihrer Geheimdienste gearbeitet. Die britische „Daily Mail“ immerhin schrieb im Oktober 2007 unter Berufung auf ungenannte Quellen: „Litwinenko war ein bezahlter MI 6-Agent“.

Die Schuld an Litwinenkos Tod streitet Lugowoj ab. „Warum hätte ich das tun sollen?“ Er sei mit seiner Frau und drei Kindern in London gewesen, auch bei ihnen seien Poloniumspuren festgestellt worden. „Die Engländer haben uns nicht einmal über Litwinenkos Vergiftung informiert, obwohl sie wussten, dass ich mit ihm zusammen war. Sie haben das Leben meiner Familie aufs Spiel gesetzt, und jetzt wollen sie mir den Mord anhängen.“ Warum gerade ihm? „Ich gab die perfekte Figur ab: ein Ex-KGB-Mitarbeiter, der unter Jelzin im Knast saß und heute Bodyguards für die russische Elite stellt – besser geht’s doch nicht!“ Seine eigene Theorie zu Litwinenkos Tod? „Entweder, er hat mit Polonium gedealt und sich selbst vergiftet. Oder Beresowski steckt dahinter. Er hasst Putin, er prahlt ständig damit, wie viel Geld er verschleudert hat, um Putin zu schaden. Wenn jemand von Litwinenkos Tod profitiert hat, dann er. Und die Briten haben sich bereitwillig einspannen lassen.“

Es ist die Version, die auch in den russischen Medien präsentiert wurde: Man will Putin einen Mord anhängen, die Hintermänner sind Russlands Feinde im Ausland, der Kalte Krieg ist nicht vorbei. Bei genau diesen düsteren Abschlussworten ist jetzt auch Lugowoj angekommen, und als er sie ausspricht, erinnert sein ganzes gereiztes Verteidigungsgebaren plötzlich enorm an jenen Wladimir Putin, der kurz nach Litwinenkos Tod mit gepresster Stimme der Presse verkündete: „Es ist höchst bedauerlich, dass ein tragisches Ereignis wie der Tod eines Menschen als politische Provokation benutzt wird.“

Berlin. Ein Herbsttag im vergangenen Jahr. „Für Putin war Litwinenko ein Terrorist“, sagt Alex Goldfarb. „Und der Geheimdienst hat Weisung, Terroristen notfalls auch im Ausland auszuschalten.“ Goldfarb, ein bärtiger Mittfünfziger, ist ein enger Mitarbeiter Boris Beresowskis, der in London einen großen Kreis russischer Regimegegner um sich geschart hat: die „Londoner Gruppe“, zu der einst auch Litwinenko gehörte. Goldfarb war es, der unmittelbar nach Litwinenkos Tod dessen letzte Worte verlas, vor dem Krankenhaus, umringt von Journalisten: „Es mag Ihnen gelingen, einen Menschen zum Schweigen zu bringen“, hieß es darin. „Mister Putin, möge Gott Ihnen vergeben, was Sie getan haben.“ Worte, die sich auch in dem Buch wiederfinden, das Goldfarb über Litwinenko geschrieben hat, zusammen mit dessen Witwe. Marina Litwinenko ist mitgekommen zur Buchvorstellung nach Berlin, eine zierliche Frau mit gefasstem Blick, die bereitwillig über das Leben mit ihrem ungewöhnlichen Ehemann spricht.

Ungewöhnlich war es in der Tat, was Litwinenko über Putin und den FSB zu wissen glaubte. Er behauptete, es gebe Videos von Putin beim Sex mit kleinen Jungen. Er behauptete, EU-Kommissionspräsident Romano Prodi stehe mit dem FSB in Verbindung. Er behauptete, der russische Geheimdienst habe bei den Anschlägen des 11. September mitgemischt und den dänischen Karikaturenstreit entfacht. „Sascha war ein gefühlsgeleiteter Mensch, er war nicht immer rational“, sagt Marina. Andererseits, fällt Goldfarb ihr ins Wort, hätte wohl auch niemand Litwinenko geglaubt, wenn er behauptet hätte, man wolle ihn mitten in London radioaktiv verstrahlen. „Alle hätten ihn für verrückt erklärt. Passiert ist es trotzdem.“

Marina und Goldfarb müssen weiter, nach Washington, wo sie vor Putins Staatsbesuch einige Medienauftritte geplant haben. Letzte Frage an Goldfarb: Frustriert es ihn und Beresowski nicht, dass ihre Bemühungen beim Aufbau einer innerrussischen Opposition nie gefruchtet haben? Goldfarb lächelt. Ja, sagt er, sie hätten eingesehen, dass auf diesem Wege kein Regimewechsel machbar sei. Wichtiger sei ihnen heute, den Westen gegen Putin einzunehmen – und das sei gelungen: „Die gesamte westliche Presse“, sagt Goldfarb, „schreibt inzwischen das Gleiche über Putin, und wer anders schreibt, wird schräg angesehen.“

Was den Litwinenko-Fall betrifft, hat Goldfarb damit Recht. Unmittelbar nach dem Mord stand für die westliche Öffentlichkeit fest, dass Litwinenko wegen seiner Kritik an Putin beseitigt worden war. Inzwischen kratzt einiges an diesem Bild.

Während die britischen Behörden nach wie vor Stillschweigen über ihre Ermittlungen wahren, erhielt der britische „Guardian“ im Januar Einblick in ein Litwinenko-Dossier der italienischen Polizei. Litwinenko war demnach italienischen Ermittlern aufgefallen, weil er 2003 für die so genannte Mitrochin-Kommission zu arbeiten begann. Offiziell sollte das von Silvio Berlusconi eingesetzte Parlamentsgremium Verbindungen italienischer Politiker zum russischen Geheimdienst aufdecken – in Wirklichkeit aber lancierte die Kommission dem Polizeidossier zufolge Schmutzkampagnen gegen Berlusconis Gegner. In einem von der Polizei mitgeschnittenen Telefonat gab der Vorsitzende des Gremiums offen zu, erklärtes Ziel sei die Diskreditierung Romano Prodis und anderer Politiker durch erfundene FSB-Kontakte. Wenig später ging Litwinenko mit der Behauptung an die Öffentlichkeit, einer seiner FSB-Kontaktleute habe Prodi als „unseren Mann in Italien“ bezeichnet.

Als zentrale Figur agierte in der Kommission ein Italiener namens Mario Scaramella – jener Scaramella, mit dem Litwinenko am Tag seiner Vergiftung in London Sushi aß. Der Polizeiakte zufolge sollen er und Litwinenko sich seit 2004 monatlich in Italien getroffen und sich dabei gefährliche Feinde gemacht haben – auf der Suche nach belastenden Informationen gingen sie auch russisch-italienischen Mafiaverbindungen nach.

Im Oktober 2005 alarmierten Scaramella und Litwinenko die italienische Polizei: Die russische Mafia, erklärten sie, plane ihre Ermordung. Die Details des Plans waren bizarr: Scaramellas Aussage zufolge sollte ein ukrainischer Lieferwagen in Bibeln versteckte Handgranaten nach Italien schmuggeln. Die Polizei stellte tatsächlich einen solchen Lieferwagen sicher, die Beamten wurden jedoch misstrauisch, als sie den angeblichen Empfänger des Wagens verhörten, einen in Neapel lebenden Ex-KGB-Mitarbeiter namens Alexander Talik. Der stritt alles ab – und erklärte, Scaramella habe ihn zuvor zur Mitarbeit in der Mitrochin-Kommission zwingen wollen. Scaramella geriet daraufhin in Verdacht, das Mordkomplott erfunden und die Granaten selbst nach Italien geschmuggelt zu haben. Im Dezember 2006, unmittelbar nach seinem letzten Treffen mit Litwinenko, wurde er in Italien verhaftet. Bis heute läuft gegen ihn ein Verfahren.

Litwinenko wurde den Ermittlungen der Italiener zufolge kurz vor seinem Tod vor einem weiteren Mordkomplott gegen ihn und Scaramella gewarnt – und Alexander Talik, der angebliche Empfänger des Bibel-Lieferwagens, soll Beziehungen zu Andrej Lugowoj in Moskau unterhalten.

Die britischen Ermittler dürften von dieser italienischen Querverbindung wissen. Sollte sich eines Tages herausstellen, dass ihre Beweisspur gegen Lugowoj nach Italien führt und nicht in Richtung Kreml, könnte die britische Regierung mit der Frage konfrontiert sein, warum Litwinenkos Tod so unmissverständlich dem russischen Regime angelastet wurde.

London. Ein milder Wintertag. Der Mann, den viele für den Kalten Krieg verantwortlich machen, liegt auf dem Highgate-Friedhof begraben. Manchmal fragen Touristen nach ihm, viele lassen sich vor der Marmorbüste fotografieren, die über seinem Grab thront. „Sieh mal“, sagt ein russischer Tourist zu seiner Tochter, „das ist der Mann, der unser Land ruiniert hat.“ Das Mädchen starrt ängstlich auf den wallenden Marmorbart. Es ist das Grab von Karl Marx.

Der Mann, mit dessen Tod der neue Kalte Krieg begann, liegt 500 Meter weiter begraben, im älteren, öffentlich nicht zugänglichen Teil des Friedhofs. Touristen, die nach seinem Grab fragen, werden höflich abgewiesen. Wer eine Führung bucht, bemerkt höchstens zufällig eine unscheinbare Grabstelle, die kein Stein ziert und kein Name, nur ein kleines, gerahmtes Foto. Der Mann auf dem Bild ist etwa 40 Jahre alt, er blickt ernst, fast anklagend in die Kamera. Kaum jemand würde auf diesem Bild Alexander Litwinenko erkennen, in Erinnerung ist eher das Foto, das vor seinem Tod im Krankenhaus entstand. Blass, erschöpft und kahlköpfig war Litwinenko da. Allein sein Blick war immer noch derselbe. Der Blick eines furchtlosen Streiters. Oder eines bedauernswerten Spinners. Unmöglich zu sagen, wie die Welt diesen Mann im Gedächtnis behalten wird. (Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 27.02.2008)

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