Knaller an der Zeitungsfront

Monday, February 11, 2008

Das Ebay-Embargo (Berliner Zeitung)

Das Ebay-Embargo
Das Online-Auktionshaus ändert sein Bewertungssystem, deutsche Händler wollen nun streiken
Jakob Schlandt

BERLIN. Die Sprüche sind markig: "Ebay macht mich krank. Wir werden es ihnen mit dem Embargo zeigen!", kündigt ein Nutzer in einem Diskussionsforum an. In genau einer Woche weiß Ebay, das größte Online-Auktionshaus der Welt, wie ernst es die enttäuschten Kunden meinen. Dann wird sich herausstellen, wie viele Händler tatsächlich einem Boykottaufruf folgen, der seit einigen Wochen im US-Ebay-Forum kursiert: Mehr als 5 000 Nutzer haben sich schon eingetragen in die Liste jener Verkäufer, die vom 18. bis zum 25. Februar keine Waren über das Portal anbieten wollen.

Rache ist nicht mehr süß

In den vergangenen Tagen schwappte die digitale Protestwelle auch nach Deutschland über, den zweitwichtigsten Ebay-Markt. Eine Auswertung der wichtigsten Diskussionsforen zum Thema Ebay ergab: Nun kursieren auch in deutschen Diskussionsforen zahlreiche Streikaufrufe. Dem US-Unternehmen, dessen Börsenkurs zuletzt stagnierte, drohen damit schmerzhafte Umsatzeinbußen.

Grund für die Aufregung in der Ebay-Gemeinde ist ein neues Bewertungssystem, das in Deutschland voraussichtlich im Juni und in den USA einen Monat früher eingeführt werden soll. Es hebt eine eherne Ebay-Regel auf: Die Waffengleichheit zwischen Verkäufer und Käufer. Wer Ware anbietet, hatte bisher, genau wie der Käufer, die Möglichkeit, in den Wochen nach der Versteigerung eine Bewertung (positiv, negativ, neutral) über den Ebay-Geschäftspartner abzugeben. Doch in Zukunft sollen Verkäufer nur noch positive Urteile über Käufer abgeben können.

Ebay rüttelt damit zum ersten Mal seit seiner Gründung im Jahr 1995 an den fundamentalen Grundprinzipien, die die Seite so erfolgreich gemacht haben, dass sie bei Internet-Auktionen in den USA und Deutschland sowie zahlreichen anderen Ländern quasi ein Monopol mit Milliardenumsätzen genießt.

Wer viele rote Negativ-Einschätzungen in seinem Nutzerprofil aufweist, der muss damit rechnen, nichts mehr an den Mann bringen zu können oder zumindest deutlich billiger - quasi mit Risikoprämie - verkaufen zu müssen. Das gleiche Misstrauen bringt die Ebay-Käuferschaft jenen entgegen, die erst sehr wenige Transaktionen aufweisen können. Deshalb nützt es Sündern mit vielen Rot-Einträgen wenig, sich unter anderem Namen anzumelden. Das System funktionierte lange recht gut als natürliches Regulativ.

Doch in den vergangenen Jahren ist das Ebay-Ökosystem immer mehr aus dem Gleichgewicht geraten. Hauptproblem wurde, dass das Bewertungssystem immer stärker von den Verkäufern missbraucht wurde. Über sogenannte Rachebewertungen wurden viele Privatnutzer vor allem von den "Powersellern", den Großhändlern bei Ebay, erpresst.

Schrieben die kleinen Ebay-Kunden eine negative Bewertung über den Händler, etwa weil dieser das neue Handy gar nicht oder zu spät lieferte, drohten dieser dem Käufer seinerseits mit einer Negativ-Bewertung, auch wenn dafür kein Grund vorlag. Viele knickten ob der Drohung ein und zogen ihre Negativ-Einschätzung zurück.

Zahlreiche Verkäufer sind nun stocksauer, sie fürchten, in Zukunft von den Käufern mit unzulässigen Nachverhandlungen und schlechter Zahlungsmoral malträtiert zu werden, weil sie ohne Reaktionsmöglichkeit mit schlechten Bewertungen unter Druck gesetzt werden können. Unter dem Namen mausi3003 schreibt ein deutscher Powerseller, der angibt, pro Jahr rund 65 000 Artikel über Ebay zu vertreiben und mehr als eine Viertelmillion Euro pro Jahr zu überweisen: "Die Kunden zahlen nicht und bewerten dann auch noch negativ, und wir können uns nicht mehr wehren, ohne uns. Wir werden uns dem Boykott vom 18. bis 25 Februar anschließen und keine Ware mehr bei Ebay anbieten." Dutzende andere Powerseller haben ebenfalls angekündigt, beim Ebay-Streik mitzumachen. Die Rede ist vom "Tropfen, der das Fass zum überlaufen bringt" und der Notwendigkeit einer "roten Karte für die Diktatur".

Bei Ebay räumt man ein, dass das neue System auf Widerstand stößt: "Es gibt eine intensive Diskussion um das neue Bewertungssystem, das ist richtig", sagt Ebay-Deutschland-Sprecherin Maike Fuest. Trotzdem verteidigt sie den Schritt als "richtig, weil er das Vertrauen in das Bewertungssystem stärken wird. In den vergangenen Jahren hat sich das Problem der sogenannten Rachebewertungen immer weiter verschärft." Deshalb habe Ebay reagieren müssen, so Fuest. Die Wucht der Ablehnung hat das Unternehmen aber kalt erwischt: Heute wird in Berlin eine eilig anberaumte Pressekonferenz zu dem Thema stattfinden.

Beobachter deuten die Änderungen im Bewertungssystem vor allem als Zeichen der Schwäche. Holger Maaß, Geschäftsführer der Internet-Unternehmensberatung Fittkau & Maaß, sagt: "Eigentlich ist das neue Modell kein dramatischer Einschnitt. Aber die Aufregung zeigt, dass die Seite ein grundsätzliches Transparenz- und Vertrauensproblem hat. Die gefühlte Sicherheit wird für viele jetzt weiter sinken." Für Powerseller sei es eine immer attraktivere Alternative, einen eigenen Internet-Shop aufzumachen, der über Preisvergleichs-Seiten sein Publikum erreicht. Das Ebay-Geschäftsmodell sei an seine Grenzen gestoßen. "Im aktuellen Konflikt zeigt sich, wie schwierig es ist, Ansprüche von professionellen Händlern und den Flohmarktcharakter unter einen Hut zu bekommen", sagt Maaß.

Berliner Zeitung, 11.02.2008

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