Knaller an der Zeitungsfront

Monday, February 04, 2008

Klub der toten Gesichter (Tagesspiegel)

Klub der toten Gesichter
Keine Identität mehr und keine Helden. Sollen sie etwa „Aaarne Friedrich!!!“ brüllen? Den Berliner Fans wird ihr Verein zu öde und den Managern auch. Aber wie verwandelt man Langweiler-Fußball in aufregenden Sport? Hertha und seine Experimente.
Von Sven Goldmann

Nach getaner Arbeit an einem kalten Berliner Abend zieht Lucien Favre, Fußballlehrer aus der Schweiz, die Handschuhe aus und setzt die Kapuze ab. Ihm ist richtig warm geworden, so schön hat seine Mannschaft gespielt und dazu noch Tore geschossen, sieben Stück, das kommt nicht oft vor bei Hertha BSC. Favre gestikuliert mit beiden Armen, er lacht und sagt, dass es jetzt endlich losgehen könne.

In Berlin geht es schon seit Jahren los. Immer mit dem Anspruch, ganz oben mitzuspielen, wenn möglich in der Champions League. Die Wirklichkeit sieht bescheidener aus. Die sieben Tore, über die Lucien Favre sich am Dienstag gefreut hat, sind nicht in der Champions League gefallen, sondern in Herthas kleinem Amateurstadion, im Testspiel gegen den Viertligisten Germania Schöneiche. Von hinten blinzelt das Flutlicht des Olympiastadions herüber. Dort wird es am Samstag ernst. Dann tritt Eintracht Frankfurt zum ersten Spiel der Bundesliga-Rückrunde in Berlin an. Nach diesem Spiel werden sie wissen, ob es wirklich losgeht, ob die in der Winterpause runderneuerte Mannschaft oben mitspielen kann.

Wer es gut meint, der nennt Hertha BSC das spannendste Experiment der Bundesliga. Gesteuert von einem Trainer, der bisher überall Erfolg hatte und schönen Fußball spielen ließ und der sich in Berlin jetzt eine neue Mannschaft zusammenbastelt. Wer es realistisch sieht, wendet ein, dass vom schönen Fußball noch nicht viel zu sehen war und dass es nicht ungefährlich sei, das Schicksal des Vereins ganz in die Hände eines Mannes zu legen, der bislang den schönen Fußball ausschließlich in der Schweiz geliefert hat.

Lucien Favre, 50, ist ein graziler Mann mit früh ergrautem Haar, sein französischer Akzent verleiht ihm eine gewisse Weltläufigkeit. In den sieben Monaten seines Wirkens am Olympiastadion hat sich Favre so ziemlich der gesamten Belegschaft entledigt. Als Verstärkung hat er in der Winterpause ausschließlich junge Spieler geholt, solche, die die Bundesliga nur aus dem Fernsehen kennen – ratzfatz, fast wie in einem Computerspiel. Aber natürlich braucht eine Mannschaft im virtuellen Raum keine Zeit zum Einspielen. Hertha BSC spielt in der Bundesliga gegen höchst reale Gegner, und die Zeit zum Einspielen ist abgelaufen. Bis zum ersten Abstiegsplatz sind es fünf Punkte.

Oben auf der kleinen Tribüne des kleinen Amateurstadions steht Dieter Hoeneß. Ein großer, kräftiger Mann. Seit Hoeneß in einem Spiel für Bayern München mal mit blutdurchtränktem Turban ein Kopfballtor erzielt hat, gilt er den Fußballfans als der Inbegriff des deutschen Kämpfers. Bei Hertha wird er meist Manager gerufen. Dieter Hoeneß hatte in den vergangenen Wochen so viel zu tun wie lange nicht mehr. Vorbei sind die Zeiten, da er ein unglücklicher Geschäftsführer war, weil er kaum Geld zum Führen seiner Geschäfte hatte. Die Last von gut 50 Millionen Euro Schulden ließ keine großen Sprünge zu. Doch dann verlängerte Hertha vor ein paar Wochen den Vertrag mit dem Vermarkter Sportfive vorzeitig bis 2018 und strich im Vorgriff auf zukünftige Erlöse 25 Millionen Euro ein.

„Das ist ein Meilenstein in der Vereinsgeschichte“, verkündete Hoeneß und sprach von einem „Vorgriff auf die Zukunft von Hertha BSC“. 15 Millionen wurden in den Abbau der Schulden gesteckt. Mit dem Rest ist Hoeneß losgezogen wie weiland Lotto-Lothar mit seinem Millionengewinn. Einen brasilianischen Stürmer hat er eingekauft, einen Mittelfeldspieler aus Serbien, noch einen aus den USA, am Dienstag kam, quasi im Schlussverkauf, noch ein Stürmer aus Bulgarien nach Berlin. Schön, mal wieder Geld zu haben. Berlin kann auch reich und sexy sein.

Hertha BSC hat immer ein wenig darunter gelitten, dass vom Glanz der wiedererwachten Metropole so wenig abfällt auf den erfolgreichsten Fußballklub der Stadt. Gern wäre Hertha BSC der Verein des kreativen Berlins. Doch das kreative Berlin besteht zu einem nicht unwesentlichen Prozentsatz aus zugezogenen Schwaben, Bayern oder Rheinländern, und die tragen noch immer den Verein ihrer Heimat im Herzen. Es werden ein, zwei Dekaden ins Land gehen, bis das kreative Berlin Hertha liebgewonnen hat, wenn überhaupt. Kritiker nörgeln, einstweilen erschöpfe sich Herthas Beitrag zum weltstädtischen Potenzial der Stadt in Frank Zanders Stadionhymne „Nur nach Hause geh’n wir nicht“. Selbst Herthas Präsident Bernd Schiphorst gibt zu, sein Verein sei „ein bisschen blass“.

Das war früher das Letzte, was man über Hertha BSC sagen konnte. Hertha war skandalumwittert, größenwahnsinnig und oft genug am Rand der Kriminalität, mal dies-, mal jenseits. Aber blass?

„Schiphorst hat recht, endlich spricht es mal einer aus“, sagt Marcel. Marcel kommt aus Tempelhof, wird bald 30 und ist Herthafan seit Kindheitstagen. Als Student hat er für seinen Verein manche Vorlesung sausen lassen, wenn gerade ein wichtiges Auswärtsspiel anstand. Am Dienstag steht er mit ein paar Freunden am Bierstand und schaut sich das Spiel gegen Schöneiche an. Marcel sagt, er habe es immer genossen, „dass man uns nirgendwo gern gesehen hat, wir waren die arroganten Berliner, die Großmäuler“. Vor ein paar Monaten war er zu einem Auswärtsspiel in Hamburg. Nach dem Spiel hat ein Hamburger Fan gefragt: „Was ist denn mit euch los? Man liest nichts mehr über euch, man hört nichts mehr. Warum seid ihr denn so ein langweiliger Verein geworden?“

Nach dieser Ansage hat Marcel das Bier nicht mehr geschmeckt. Nicht, dass der Fußball auch ganz gut ohne großmäulige Berliner zurechtkäme, aber das allein ist es ja nicht. Am Bierstand beim Spiel gegen Schöneiche sagen Marcel und seine Freunde, der Abend mit den Hamburger Fans habe ihnen die Augen geöffnet. „Es interessiert sich keiner mehr für uns, für die Mannschaft, für den Verein. Alles ist so austauschbar.“ Früher, da hätten sie immer Lieblinge gehabt. Andreas Neuendorf, den Techniker mit der Berliner Schnauze, den alle nur Zecke nannten. Marcelinho, den Wunder-Brasilianer, über den man sich so schön aufregen konnte, der nächtens mit den Mädchen in der Disko tanzte und tagsüber mit den Gegenspielern auf dem Platz. Oder den Torwart Christian Fiedler, der seit der Jugend für Hertha spielte und nach dem Spiel immer in die Fankurve kam.

Alles vorbei. Neuendorfs Vertrag wurde nicht verlängert, Marcelinho schon vor zwei Jahren abgeschoben, weil er wieder mal zu spät aus dem Urlaub kam. Der vereinstreue Fiedler sitzt nur noch auf der Ersatzbank. „Es gibt keine Typen mehr bei Hertha“, sagt Marcel, „keinen, den man mit Sprechchören anfeuern kann.“ Mal abgesehen vom nigerianischen Stürmer Solomon Okoronkwo, der sich so ergriffen ans Herz fasst, wenn er ein Tor schießt, aber er schießt so selten ein Tor, weil er ja fast nie spielt. „Und sonst? Alles stromlinienförmige Typen, die überall spielen könnten.“

Sollen sie etwa „Aaarne Friiiedrich!!!!“ brüllen?

Arne Friedrich ist der Kapitän der Hertha-Mannschaft 2008. Und Nationalspieler. Er fährt Porsche, trägt einen sorgfältig getrimmten Dreitagebart und spielt gern Golf. Über Berlin sagt er auf seiner Homepage. „Ich mag diese Stadt, die niemals schläft.“ Seinen Musikgeschmack definiert er so: „Ich höre das, was im Radio gespielt wird.“

Der Verteidiger Friedrich verdient bei Hertha geschätzt 2,5 Millionen Euro im Jahr, sein Nebenmann Josip Simunic kommt etwa auf dieselbe Summe. Zwei Defensivkräfte stehen auf den ersten beiden Plätzen auf der Berliner Gehaltsliste. Der Branchenführer Bayern München investierte seine Millionen in dieser Saison vornehmlich in drei Offensivspieler, den Deutschen Miroslav Klose, den Italiener Luca Toni und den Franzosen Franck Ribery. Wer will, kann darin ein Zeichen sehen für die unterschiedliche Ausprägung beider Stilrichtungen.

Für das strategische Geschäft ist bei Hertha BSC seit gut elf Jahren Dieter Hoeneß zuständig. Als Geschäftsmann zehrt er immer noch von dem alten Hertha-Image. Nicht weil es so gut war. Hoeneß‘ Bruder Uli, der Macher beim großen FC Bayern, hat einmal gesagt: „Wenn du Leuten wie dem ehemaligen Hertha-Präsidenten Holst 100 Millionen Mark gibst, haben die anschließend 150 Millionen Mark Schulden.“ Vor diesem Hintergrund konnte Dieter Hoeneß nicht viel falsch machen, als er im November 1996 nach Berlin kam und Hertha mit dem Geld des Sportfive-Vorläufers Ufa fitmachte für den Aufstieg in die Bundesliga.

Seitdem hat er immer wieder versucht, den Verein neu zu erfinden. Das spricht für Fantasie, erhöht aber nicht unbedingt die Glaubwürdigkeit. Am erfolgreichsten waren Hoeneß’ Anfangsjahre. Er inszenierte Hertha als Heimat der heimkehrenden Profis aus der Region und führte den Verein nach oben, einmal sogar bis in die Champions League. Danach kam die brasilianische Phase mit der Akquise spektakulärer Interpreten aus dem gelobten Fußballland. Das kostete viel Geld, brachte aber nicht die erhoffte Etablierung in der Beletage des deutschen Fußballs. Also modelten sich die Berliner um zum ehrgeizigsten Nachwuchsprojekt des Landes, das gar nicht mehr hinterherkam mit dem Zählen seiner Jugend-Nationalspieler. „Bei uns wächst etwas zusammen“, verkündete Dieter Hoeneß immer wieder stolz. Aber auch die Konkurrenz registrierte, was da in Berlin heranwuchs, und in diesem Sommer waren die drei Besten auf einmal weg. Und damit auch Herthas Image als Ausbildungsverein.

Seit dieser Saison definiert sich der Verein nicht mehr über Inhalte, sondern über seinen Trainer. Lucien Favre soll dem gesichtslosen Gebilde eine neue Identität verpassen mit dem schönsten, aufregendsten und modernsten Fußball der gesamten Liga. Das ist leicht gesagt und schwer umzusetzen. In seinem ersten Jahr beim FC Zürich stand Favre als Tabellenletzter schon mal kurz vor der Entlassung und feierte später noch zwei Meisterschaften. Als Favre im Sommer aus Zürich nach Berlin kam, freute er sich über die guten Arbeitsbedingungen und wunderte sich, dass es in den Zügen der Deutschen Bahn kein Rauchverbot gab. Immerhin dieses Problem hat sich seitdem erledigt.

Weil Favre im Frühling noch schnell den FC Zürich zur Schweizer Meisterschaft geführt und Hertha erst spät seine Zusage gegeben hatte, ließ sich die Mannschaft nicht mehr komplett nach seinen Wünschen zusammenstellen. Für eilig zusammengekauftes Personal wurde viel Geld ausgegeben und wenig Qualität erworben. Das entsprach nun so gar nicht den Vorstellungen des neuen Trainers. In der Woche vor dem Bundesligastart soll Favre im Büro von Manager Dieter Hoeneß seinen sofortigen Rücktritt angeboten haben. Hoeneß hat diese Geschichte immer dementiert, im Kreis der Mannschaft aber zweifelt kaum einer daran, dass sie stimmt. Zu oft hätten die Spieler mitbekommen, wie selten Manager und Trainer einer Meinung seien. Ein junger Spieler erzählt von einer turbulenten Mannschaftssitzung. „Der Trainer hat dem Manager gesagt: ‚Sie haben keine Ahnung!’ Dann ist er einfach rausgegangen.“

Man kann Lucien Favre schlecht vorwerfen, dass er nicht sagt, was er denkt. Oft genug hat er öffentlich verkündet, dass er sein System vom schnellen Fußball nur mit dem entsprechenden Personal umsetzen könne. Das hat dem vorhandenen Personal nicht besonders gut gefallen und auch die Motivation nicht gesteigert, worauf Hertha in der Tabelle immer tiefer fiel und Favre immer lauter nach neuen Spielern rief.

Jetzt sind die Neuen da, am Dienstag haben sie gegen den Viertligisten Schöneiche erstmals vor Berliner Publikum gespielt. Lucien Favre freut sich über die sieben Tore, Marcel und seine Freunde ziehen weiter in die nächste Kneipe. Der Fernseher läuft. Pokal-Achtelfinale, Dortmund besiegt Bremen, und die Dortmunder Fans rufen: „Berlin! Berlin! Wir fahren nach Berlin!“, zum Finale im April ins Olympiastadion. Hertha ist mal wieder früh aus dem Pokal ausgeschieden. Marcel setzt sich an die Theke und seufzt: „In Dortmund brüllen sie Berlin, Berlin! Und wir spielen auf einem Nebenplatz gegen Schöneiche. Na prima!“
(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 01.02.2008)

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