Die Leistungsschau der Pharmabranche (Berliner Zeitung)
Die Leistungsschau der Pharmabranche
Heute startet die Tour de France. Sie kann kein Gegenstand der Sportberichterstattung sein. Denn sie wird die Seuche Doping nicht los
Christian Schwager
LONDON. Die Fabrik ist geöffnet. Schon seit Tagen wird hier geschuftet in dieser großen Messehalle im Südosten Londons: Hunderte Männer und Frauen sitzen unter grellen Lampen an langen Tischen, die sich hinziehen wie Stangen in einem Vogelkäfig. Die, die hier arbeiten, sind Arbeiter des Wortes. Journalisten im Pressezentrum der Tour de France. Sie fabrizieren Schlagzeilen, Meldungen und Reportagen. Ein beständiges Gemurmel erfüllt die Nachrichtenfabrik. Es ist ein vertrautes Geräusch, es klingt wie immer, wenn der Start zu diesem Radrennen naht.
An diesem Sonnabend nimmt der Tourtross in London Fahrt auf. Und eigentlich sollte nichts wie immer klingen. Der Radsport steckt in seiner größten, einer existenziellen Krise. In den letzten Wochen haben die späten Geständnisse so vieler Fahrer noch einmal eindrucksvoll bestätigt, dass der Radsport die Seuche Doping nicht los wird. Hier im Medienzentrum aber ist davon nicht viel zu spüren. Business as usual. Und das ist das Problem.
Eigentlich hätte schon das Jahr 1999 die große Wende bringen sollen. Als mancher dachte, dass sich so etwas wie der Skandal um das Team Festina, der flächendeckendes Doping offenlegte, nicht wiederholen könnte. Daniel Baal zum Beispiel, damals Chef des französischen Radsportverbandes und ein großer Optimist, glaubte das. Wie andere sprach auch Baal von einer Tour der Erneuerung: "Eine große Mehrheit der Fahrer ist bei dieser Tour sauber, davon bin ich überzeugt." Inzwischen aber hat die Realität den großen Optimisten Baal klein gekriegt. Inzwischen hat er solche Sätze formuliert: "Der Tour fehlt jede sportliche Glaubwürdigkeit." Und: "Eine andere Sache, die mich schockiert, ist die Art und Weise, mit der ganze Reihen von Journalisten weiter Loblieder auf gewisse Athleten anstimmen."
Gemeint sind Athleten, die dopen, und jene unter den Journalisten, die noch immer keine kritische Distanz zum Objekt ihrer Berichterstattung besitzen. Mittlerweile dürfte zwar niemand mehr umhinkommen, sich mit dem Thema Doping zu befassen, aber es gibt immer noch Reporter, die sich als Fans verstehen. Oder, wie im Falle des Fernsehens, auch als Mitveranstalter. Und es gibt einige im internationalen Medientross, die so dicht dran gewesen sind in den vergangenen Jahren, dass es sehr schwerfällt, ihnen zu glauben, wenn sie sagen: Wir haben nichts gewusst.
Die zentrale Frage nach der Sauberkeit verlangt schon seit den Anfangsjahren der Tour de France nach Antworten, seit 1924 etwa, als die Gebrüder Pelissier einem Journalisten ihr Drogenrepertoire präsentierten, mit dessen Hilfe sie durch Frankreich rasten, darunter Beschleuniger wie Kokain und Chloroform. Mittel und Methoden haben sich verändert. Die Mentalität ist geblieben. An Erik Zabel ist das gut zu beobachten. Ende Mai gestand er, gedopt zu haben, angeblich ein einziges Mal. Die Tat ist, versteht sich, verjährt. Ein paar Tage später saß er wieder im Sattel, bei der Bayernrundfahrt. Zabel gewann im Sprint und wurde gefeiert.
Das große Rad rollt wie ein Perpetuum mobile, es wird auch in Zukunft nicht passieren, was längst hätte passieren müssen. Es ist höchste Zeit innezuhalten, einen Schnitt zu machen. Denn eine Tour de France unter den gegebenen Umständen ist eine Tour de Farce, sie dürfte - vernünftigerweise - gar nicht stattfinden. Diese Einsicht aber will sich bei den Verantwortlichen nicht durchsetzen.
Deshalb sieht sich die Berliner Zeitung in diesem Jahr dazu veranlasst, selbst innezuhalten. Die Frankreichrundfahrt wird sie auf eine ihr angemessen erscheinende Art begleiten: Auf eine sportliche Berichterstattung wird bewusst verzichtet. Zu dringend ist der Verdacht, dass es sich bei der Tour - allen Bekenntnissen und Bemühungen zum Trotz - nicht um professionellen Sport im klassischen Sinne handelt, sondern weitgehend um eine Leistungsschau der Pharmabranche. Die sportliche Information wird sich deshalb auf ein Mindestmaß beschränken, auf die Zahlen - wie immer ohne Gewähr. Die Berichterstattung über die Tour konzentriert sich auf das aktuelle Geschehen zum Thema Doping. Eine tägliche Kolumne wird ebenfalls diesem Thema gewidmet sein.
Denn wäre es aufrichtig, anders zu verfahren? Sollten Helden gefeiert werden, die sich am Ende als Betrüger erweisen? Gesamtsieger, die behaupten, ein abendliches Glas Bier hätte am nächsten Tag zu einem abartigen Hormonspiegel und damit zu unglaublichen Leistungen geführt? Sollten Radfahrer Erwähnung finden, die einst mit schlecht beleumundeten Ärzten kooperierten und nun sagen, ihr Erfolgsrezept bestehe aus gesunder Ernährung und strampeln, strampeln, strampeln? Sollten notorische Ausreißer zu Wort kommen, die Tag für Tag dem Feld entfliehen, als Solisten über hunderte von Kilometern, bei brütender Hitze; die ihre Ausdauer damit erklären, dass sie fleißiger trainieren als andere? Sollten ehemaliger Doper in verantwortlicher Position als Frontmänner im Kampf um Sauberkeit ihr Forum erhalten?
Bjarne Riis ist so ein Mann in verantwortlicher Position, und im Grunde hat er eine Antwort auf all diese Fragen gegeben. Er bleibt der Tour de France fern. Dem Rennen also, das er 1996 gewann und das er in den vergangenen Jahren als Chef der Equipe CSC begleitet hat. Auch Riis hat gestanden, lange Jahre gedopt zu haben. Er hat gesagt: "Ich war Radsportler zu den Bedingungen, die es damals in dem Sport gab." Riis hat nicht ausgepackt, weil er aufklären wollte oder seinem Gewissen folgte. Riis äußerte sich, weil ihm der Druck der Fakten kaum eine andere Wahl ließ. Er war schwer belastet worden. Riis gab sich auch keine Mühe, den Reumütigen zu mimen. Er ist wenigstens in diesem Punkt ehrlich.
Ebenfalls unter Zwang beichteten all die anderen deutschen Dopingsünder, abgesehen von zusätzlichen finanziellen Motiven in Einzelfällen. Die geschlossene Gesellschaft hatte sich für einen kurzen Moment geöffnet, weil durch eine undichte Stelle sonst sehr diskret behandelte Details an die Öffentlichkeit geraten waren. Mancher bestätigte dann auch nur diese Indiskretionen. Rolf Aldag etwa, der lediglich über den Missbrauch von Epo sprach. Einen wesentlich freizügigeren Umgang mit Doping räumte Jörg Jaksche ein. Doch auch er redete nicht freiwillig. Ein Jahr lang hatte er bestritten, Kunde des spanischen Dopingarztes Eufemiano Fuentes gewesen zu sein. Er packte schließlich mit dem Ziel aus, als Kronzeuge glimpflich davonzukommen. Einen interessanten Satz hat Jaksche dabei gesagt: "Es ist pervers, aber das Doping-System ist gerecht, weil alle dopen." Er hat auch gesagt, dass er vermutlich heute noch verbotene Substanzen nehmen würde, wäre er nicht durch die polizeilichen Ermittlungen zum Netzwerk des Doktor Fuentes überführt worden. Klingt das nach Erneuerung?
Klingt es nach Erneuerung, wenn Astana-Teamchef Marc Biver die Zusammenarbeit seines Kapitäns Alexander Winokurow mit dem umstrittenen Arzt Michele Ferrari rechtfertigt? Der italienische Mediziner entging der Verurteilung wegen Dopings von Athleten nur, weil sein Vergehen verjährte. Biver hat nun in London gesagt, Ferrari übe zwei Berufe aus: den des Doktors und den des Trainers. Winokurow arbeite ausschließlich mit dem Trainer zusammen.
Der Leistungssport ist im Begriff, wieder zur Tagesordnung überzugehen. In ebenfalls stark durch Doping belasteten Disziplinen wie der Leichtathletik oder dem Schwimmen, die anlässlich der Enthüllungen im Radsport kurz über ihre eigene Situation reflektierten, ist dies schon geschehen. Die Berichterstattung kreist wieder um Zeiten und Weiten. Rekorde werden gefeiert, ohne ihre Entstehung zu hinterfragen. Befeuert wird das Treiben von Sportfunktionären, die eine stärkere staatliche Förderung einklagen. Währenddessen hat der Bundestag ein Gesetz zum verbesserten Kampf gegen Doping beschlossen, das die Betrüger selbst nicht belangt, weil es den Besitz kleinerer Mengen verbotener Substanzen nicht unter Strafe stellt.
Im Radsport sind ebenfalls Bemühungen erkennbar, rasch zur Routine zurückzufinden. Beim Bund Deutscher Radfahrer (BDR) zum Beispiel mit seinem Präsidenten und einst bekennenden Fan des Teams Telekom, Rudolf Scharping. Dort hält man an umstrittenem Personal fest. Auch die Tour-Direktion um ihren Chef Christian Prudhomme will das Räderwerk in Gang halten und gleichzeitig das Image verbessern. Denn bei weiteren Skandalen droht der Verlust wichtiger Sponsoren. Die Pharmabranche hängt mit im fein gesponnenen Netz, ihre Produkte wie Epo werden eben zu einem nicht gerade geringen Teil außerhalb des klinischen Bereichs verwendet, im Hochleistungssport also. Der Pharmakonzern Stada, das nur am Rande, ist Sponsor des BDR.
Dann sind da noch jene Profiteams, die auf eine Erneuerung keinen Wert legen. Sie bringen dies zum Ausdruck, indem sie verdächtige Fahrer beschäftigen. Teams wie Discovery Channel, das ausgeschert ist aus der Koalition der weltweit besten Rennställe, weil es nicht bereit ist, einen so genannten Ethik-Kodex mitzutragen. Am Donnerstag ist es zu einer Aufspaltung gekommen. Die deutschen Teams Gerolsteiner und T-Mobile haben mit sechs französischen Mannschaften eine Bewegung für den sauberen Radsport gegründet. In der vorangegangenen Diskussion hatte der Berater einer spanischen Equipe erklärt, Radfahrer dopten nicht, sie nähmen Medizin wie andere Sportler auch. Erneuerung?
Eine andere aufschlussreiche Episode, sie ereignete sich in Italien: Als im Mai gerade die Doping-Beichten grassierten, übertrug der private TV-Kanal Eurosport den Giro d'Italia, und er vollbrachte dabei das Kunststück, ohne eine kritische Würdigung der gebotenen Leistungen auszukommen. Etwa der des späteren Gesamtsiegers Danilo di Luca, der in ein italienisches Dopingnetzwerk verstrickt gewesen sein soll. Und der bei Tests während des Giro einen sehr merkwürdigen Testosteron-Spiegel aufwies.
Wenn an diesem Sonnabend die Tour durch London rollt, wenn die Fahrer vorbeikommen am Big Ben, am Buckingham Palace, an der Royal Albert Hall, dann werden sie von Fernsehkameras verfolgt. Auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten ARD und ZDF werden auf Sendung gehen. Sie werden sich zwar mit Doping befassen, intensiver sicher als etwa 1999, bei der so genannten Tour der Erneuerung. Sie werden Experten zu diesem Thema Stellung nehmen lassen. Sie werden aber auch über den Sport berichten - ein heikler Spagat. Es werden die gewohnten Bilder von jubelnden Etappensiegern zu sehen sein, Aufnahmen vom bunten Tourtross vor malerischer Kulisse und Männer in gelben Trikots mit Blumenstrauß. Das alles wird im Fernsehen zu sehen sein. In dieser Zeitung nicht.
Berliner Zeitung, 07.07.2007
Heute startet die Tour de France. Sie kann kein Gegenstand der Sportberichterstattung sein. Denn sie wird die Seuche Doping nicht los
Christian Schwager
LONDON. Die Fabrik ist geöffnet. Schon seit Tagen wird hier geschuftet in dieser großen Messehalle im Südosten Londons: Hunderte Männer und Frauen sitzen unter grellen Lampen an langen Tischen, die sich hinziehen wie Stangen in einem Vogelkäfig. Die, die hier arbeiten, sind Arbeiter des Wortes. Journalisten im Pressezentrum der Tour de France. Sie fabrizieren Schlagzeilen, Meldungen und Reportagen. Ein beständiges Gemurmel erfüllt die Nachrichtenfabrik. Es ist ein vertrautes Geräusch, es klingt wie immer, wenn der Start zu diesem Radrennen naht.
An diesem Sonnabend nimmt der Tourtross in London Fahrt auf. Und eigentlich sollte nichts wie immer klingen. Der Radsport steckt in seiner größten, einer existenziellen Krise. In den letzten Wochen haben die späten Geständnisse so vieler Fahrer noch einmal eindrucksvoll bestätigt, dass der Radsport die Seuche Doping nicht los wird. Hier im Medienzentrum aber ist davon nicht viel zu spüren. Business as usual. Und das ist das Problem.
Eigentlich hätte schon das Jahr 1999 die große Wende bringen sollen. Als mancher dachte, dass sich so etwas wie der Skandal um das Team Festina, der flächendeckendes Doping offenlegte, nicht wiederholen könnte. Daniel Baal zum Beispiel, damals Chef des französischen Radsportverbandes und ein großer Optimist, glaubte das. Wie andere sprach auch Baal von einer Tour der Erneuerung: "Eine große Mehrheit der Fahrer ist bei dieser Tour sauber, davon bin ich überzeugt." Inzwischen aber hat die Realität den großen Optimisten Baal klein gekriegt. Inzwischen hat er solche Sätze formuliert: "Der Tour fehlt jede sportliche Glaubwürdigkeit." Und: "Eine andere Sache, die mich schockiert, ist die Art und Weise, mit der ganze Reihen von Journalisten weiter Loblieder auf gewisse Athleten anstimmen."
Gemeint sind Athleten, die dopen, und jene unter den Journalisten, die noch immer keine kritische Distanz zum Objekt ihrer Berichterstattung besitzen. Mittlerweile dürfte zwar niemand mehr umhinkommen, sich mit dem Thema Doping zu befassen, aber es gibt immer noch Reporter, die sich als Fans verstehen. Oder, wie im Falle des Fernsehens, auch als Mitveranstalter. Und es gibt einige im internationalen Medientross, die so dicht dran gewesen sind in den vergangenen Jahren, dass es sehr schwerfällt, ihnen zu glauben, wenn sie sagen: Wir haben nichts gewusst.
Die zentrale Frage nach der Sauberkeit verlangt schon seit den Anfangsjahren der Tour de France nach Antworten, seit 1924 etwa, als die Gebrüder Pelissier einem Journalisten ihr Drogenrepertoire präsentierten, mit dessen Hilfe sie durch Frankreich rasten, darunter Beschleuniger wie Kokain und Chloroform. Mittel und Methoden haben sich verändert. Die Mentalität ist geblieben. An Erik Zabel ist das gut zu beobachten. Ende Mai gestand er, gedopt zu haben, angeblich ein einziges Mal. Die Tat ist, versteht sich, verjährt. Ein paar Tage später saß er wieder im Sattel, bei der Bayernrundfahrt. Zabel gewann im Sprint und wurde gefeiert.
Das große Rad rollt wie ein Perpetuum mobile, es wird auch in Zukunft nicht passieren, was längst hätte passieren müssen. Es ist höchste Zeit innezuhalten, einen Schnitt zu machen. Denn eine Tour de France unter den gegebenen Umständen ist eine Tour de Farce, sie dürfte - vernünftigerweise - gar nicht stattfinden. Diese Einsicht aber will sich bei den Verantwortlichen nicht durchsetzen.
Deshalb sieht sich die Berliner Zeitung in diesem Jahr dazu veranlasst, selbst innezuhalten. Die Frankreichrundfahrt wird sie auf eine ihr angemessen erscheinende Art begleiten: Auf eine sportliche Berichterstattung wird bewusst verzichtet. Zu dringend ist der Verdacht, dass es sich bei der Tour - allen Bekenntnissen und Bemühungen zum Trotz - nicht um professionellen Sport im klassischen Sinne handelt, sondern weitgehend um eine Leistungsschau der Pharmabranche. Die sportliche Information wird sich deshalb auf ein Mindestmaß beschränken, auf die Zahlen - wie immer ohne Gewähr. Die Berichterstattung über die Tour konzentriert sich auf das aktuelle Geschehen zum Thema Doping. Eine tägliche Kolumne wird ebenfalls diesem Thema gewidmet sein.
Denn wäre es aufrichtig, anders zu verfahren? Sollten Helden gefeiert werden, die sich am Ende als Betrüger erweisen? Gesamtsieger, die behaupten, ein abendliches Glas Bier hätte am nächsten Tag zu einem abartigen Hormonspiegel und damit zu unglaublichen Leistungen geführt? Sollten Radfahrer Erwähnung finden, die einst mit schlecht beleumundeten Ärzten kooperierten und nun sagen, ihr Erfolgsrezept bestehe aus gesunder Ernährung und strampeln, strampeln, strampeln? Sollten notorische Ausreißer zu Wort kommen, die Tag für Tag dem Feld entfliehen, als Solisten über hunderte von Kilometern, bei brütender Hitze; die ihre Ausdauer damit erklären, dass sie fleißiger trainieren als andere? Sollten ehemaliger Doper in verantwortlicher Position als Frontmänner im Kampf um Sauberkeit ihr Forum erhalten?
Bjarne Riis ist so ein Mann in verantwortlicher Position, und im Grunde hat er eine Antwort auf all diese Fragen gegeben. Er bleibt der Tour de France fern. Dem Rennen also, das er 1996 gewann und das er in den vergangenen Jahren als Chef der Equipe CSC begleitet hat. Auch Riis hat gestanden, lange Jahre gedopt zu haben. Er hat gesagt: "Ich war Radsportler zu den Bedingungen, die es damals in dem Sport gab." Riis hat nicht ausgepackt, weil er aufklären wollte oder seinem Gewissen folgte. Riis äußerte sich, weil ihm der Druck der Fakten kaum eine andere Wahl ließ. Er war schwer belastet worden. Riis gab sich auch keine Mühe, den Reumütigen zu mimen. Er ist wenigstens in diesem Punkt ehrlich.
Ebenfalls unter Zwang beichteten all die anderen deutschen Dopingsünder, abgesehen von zusätzlichen finanziellen Motiven in Einzelfällen. Die geschlossene Gesellschaft hatte sich für einen kurzen Moment geöffnet, weil durch eine undichte Stelle sonst sehr diskret behandelte Details an die Öffentlichkeit geraten waren. Mancher bestätigte dann auch nur diese Indiskretionen. Rolf Aldag etwa, der lediglich über den Missbrauch von Epo sprach. Einen wesentlich freizügigeren Umgang mit Doping räumte Jörg Jaksche ein. Doch auch er redete nicht freiwillig. Ein Jahr lang hatte er bestritten, Kunde des spanischen Dopingarztes Eufemiano Fuentes gewesen zu sein. Er packte schließlich mit dem Ziel aus, als Kronzeuge glimpflich davonzukommen. Einen interessanten Satz hat Jaksche dabei gesagt: "Es ist pervers, aber das Doping-System ist gerecht, weil alle dopen." Er hat auch gesagt, dass er vermutlich heute noch verbotene Substanzen nehmen würde, wäre er nicht durch die polizeilichen Ermittlungen zum Netzwerk des Doktor Fuentes überführt worden. Klingt das nach Erneuerung?
Klingt es nach Erneuerung, wenn Astana-Teamchef Marc Biver die Zusammenarbeit seines Kapitäns Alexander Winokurow mit dem umstrittenen Arzt Michele Ferrari rechtfertigt? Der italienische Mediziner entging der Verurteilung wegen Dopings von Athleten nur, weil sein Vergehen verjährte. Biver hat nun in London gesagt, Ferrari übe zwei Berufe aus: den des Doktors und den des Trainers. Winokurow arbeite ausschließlich mit dem Trainer zusammen.
Der Leistungssport ist im Begriff, wieder zur Tagesordnung überzugehen. In ebenfalls stark durch Doping belasteten Disziplinen wie der Leichtathletik oder dem Schwimmen, die anlässlich der Enthüllungen im Radsport kurz über ihre eigene Situation reflektierten, ist dies schon geschehen. Die Berichterstattung kreist wieder um Zeiten und Weiten. Rekorde werden gefeiert, ohne ihre Entstehung zu hinterfragen. Befeuert wird das Treiben von Sportfunktionären, die eine stärkere staatliche Förderung einklagen. Währenddessen hat der Bundestag ein Gesetz zum verbesserten Kampf gegen Doping beschlossen, das die Betrüger selbst nicht belangt, weil es den Besitz kleinerer Mengen verbotener Substanzen nicht unter Strafe stellt.
Im Radsport sind ebenfalls Bemühungen erkennbar, rasch zur Routine zurückzufinden. Beim Bund Deutscher Radfahrer (BDR) zum Beispiel mit seinem Präsidenten und einst bekennenden Fan des Teams Telekom, Rudolf Scharping. Dort hält man an umstrittenem Personal fest. Auch die Tour-Direktion um ihren Chef Christian Prudhomme will das Räderwerk in Gang halten und gleichzeitig das Image verbessern. Denn bei weiteren Skandalen droht der Verlust wichtiger Sponsoren. Die Pharmabranche hängt mit im fein gesponnenen Netz, ihre Produkte wie Epo werden eben zu einem nicht gerade geringen Teil außerhalb des klinischen Bereichs verwendet, im Hochleistungssport also. Der Pharmakonzern Stada, das nur am Rande, ist Sponsor des BDR.
Dann sind da noch jene Profiteams, die auf eine Erneuerung keinen Wert legen. Sie bringen dies zum Ausdruck, indem sie verdächtige Fahrer beschäftigen. Teams wie Discovery Channel, das ausgeschert ist aus der Koalition der weltweit besten Rennställe, weil es nicht bereit ist, einen so genannten Ethik-Kodex mitzutragen. Am Donnerstag ist es zu einer Aufspaltung gekommen. Die deutschen Teams Gerolsteiner und T-Mobile haben mit sechs französischen Mannschaften eine Bewegung für den sauberen Radsport gegründet. In der vorangegangenen Diskussion hatte der Berater einer spanischen Equipe erklärt, Radfahrer dopten nicht, sie nähmen Medizin wie andere Sportler auch. Erneuerung?
Eine andere aufschlussreiche Episode, sie ereignete sich in Italien: Als im Mai gerade die Doping-Beichten grassierten, übertrug der private TV-Kanal Eurosport den Giro d'Italia, und er vollbrachte dabei das Kunststück, ohne eine kritische Würdigung der gebotenen Leistungen auszukommen. Etwa der des späteren Gesamtsiegers Danilo di Luca, der in ein italienisches Dopingnetzwerk verstrickt gewesen sein soll. Und der bei Tests während des Giro einen sehr merkwürdigen Testosteron-Spiegel aufwies.
Wenn an diesem Sonnabend die Tour durch London rollt, wenn die Fahrer vorbeikommen am Big Ben, am Buckingham Palace, an der Royal Albert Hall, dann werden sie von Fernsehkameras verfolgt. Auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten ARD und ZDF werden auf Sendung gehen. Sie werden sich zwar mit Doping befassen, intensiver sicher als etwa 1999, bei der so genannten Tour der Erneuerung. Sie werden Experten zu diesem Thema Stellung nehmen lassen. Sie werden aber auch über den Sport berichten - ein heikler Spagat. Es werden die gewohnten Bilder von jubelnden Etappensiegern zu sehen sein, Aufnahmen vom bunten Tourtross vor malerischer Kulisse und Männer in gelben Trikots mit Blumenstrauß. Das alles wird im Fernsehen zu sehen sein. In dieser Zeitung nicht.
Berliner Zeitung, 07.07.2007
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