Der Hauptstadtneurotiker (SZ)
Der Hauptstadtneurotiker
Manchmal hasst der Spaßmacher seine Zuschauer bestimmt: Allzu weit ist Herrn Krömers Publikumsbezauberung nicht von der Publikumsbeschimpfung entfernt. Eine Sommerreise ins Spaßfernsehen. Von Benjamin Henrichs
Das ist immer wieder ein wunderbarer, ja ein berauschender Augenblick: Wenn der Komiker auftritt und sein Publikum begrüßt. Der Komiker strahlt, und sein Strahlen heißt: Ihr seid das beste Publikum der Welt! Das Publikum rast, und sein Rasen bedeutet: Du bist der beste Komiker aller Zeiten! Wären jetzt nicht gleich die ersten Späße fällig, könnten Publikum und Komiker auch zusammen ein Liebeslied singen, zum Beispiel die alte Weise: "Wir wollen niemals auseinandergeh'n!" Doch wo die Liebe ist, ist die Lüge nicht weit.
Peinlich bis zum Einsturz
Auch der Komiker Kurt Krömer liebt diesen ersten Auftritt und Augenblick. Ja, er liebt ihn so sehr, dass er ihn gern mehrmals wiederholt, in immer neuen, fast immer scheußlichen Anzügen, Hemden und Krawatten aus dem Billig-Kaufhaus nebenan. Er liebt sein Publikum, liebt es wie sein eigenes Kind - weshalb es auch mal passieren kann, dass er zur Rampe stürmt und die Zuschauer selig anlallt wie ein Vater seinen Säugling: "Ja, wo issi denn? Ja, wo issi denn, die Publikum?" Das ist einerseits peinlich, bringt aber andererseits die unvermeidliche Peinlichkeit der Situation durch Übertreibung zum Einsturz.
Man ahnt, dass die Liebe zwischen Komiker und Publikum so ewig nicht ist, dass sie jederzeit vom Verrat bedroht wird. Dass das Publikum schnell zu einem anderen Komiker überlaufen könnte. Dass der Spaßmacher seine Zuschauer bestimmt manchmal hasst. Allzu weit also ist Herrn Krömers Publikumsbezauberung nicht von der Publikumsbeschimpfung entfernt.
Die Musik zur Show ist total schrill, die Kulissen sind knallbunt, doch der Held, der Mann, der sich Kurt Krömer nennt, gehört zur großen Gattung der Grauen. Er ist der nette junge Mann von nebenan, der im Treppenhaus stets freundlich grüßt, den man aber nie genau anschaut. Erst im Fernsehen sieht man, wie nah bei den Krömers dieser Welt das Mittelmäßige und das Monströse miteinander verwandt sind. Man bemerkt jetzt die ewig rutschende Hornbrille, die spießig gescheitelte Frisur, die seltsamen Koteletten, man sieht die groteske Hässlichkeit der Krömerschen Garderobe.
Und am meisten wundert man sich über dieses Lächeln, das man im Vorbeilaufen doch immer ganz sympathisch fand. Man kann wirklich nicht sagen, dass Herrn Krömers Lächeln leuchtet, dass es von innen kommt, "von Herzen", wie man so sagt. Krömer lächelt, weil das Lächeln Teil seines Jobs und Auftrags ist. Er trägt das Lächeln im Gesicht, als hätte er es dort selber festgenagelt. Er trägt das Lächeln, wie der Verkäufer im Kaufhaus sein Namensschild trägt: Es bedient Sie Herr Krömer.
Eine Art Restangst
Komik ist kindlich, und Komik ist peinlich - und es ist Kurt Krömers wunderbarer Kunstgriff, dass er die Peinlichkeiten seines Gewerbes nicht leugnet und dass er sie auch nicht karikierend, höhnend von sich fernhält. Er ist jetzt, und das mit Recht, ein berühmter Mann - aber das Peinigende und Klägliche des Amateurs und komischen Kleinkünstlers hat er nicht etwa stolz von sich abgeworfen, es klebt an ihm und wird ihn niemals verlassen. Er ist jetzt ein Star, aber in seiner Dreistigkeit lauert noch immer die Feigheit. Eine Art Restangst, die auch der tollste Komiker nicht loswird: dass jede Show auch die letzte sein könnte.
Herr Krömer versucht sich als Gewichtheber und als Flirtkünstler, und natürlich ist er, langbeinig, steifbeinig, in jeder Situation eine Witzfigur, ein Versager. Und er ist Talkmaster, der Mann mit den "Knallergästen" und den "Knallerfragen". Vermutlich ist Krömer der beste Talker der Republik: Weil er jedes Gespräch so schnell, wie es nur geht, seiner Vernichtung entgegenführt. Den öden Talk zerstört und verzaubert, in eine Farce verwandelt, bei der es gottlob nicht mehr um "die Wahrheit" geht, nur noch um den wahren Unfug.
Seit einiger Zeit unterstützt ihn hierbei die ganze Krömer-Familie, ein vielköpfiges Ungeheuer, ein wunderlicher Wechselbalg aus Gutherzigkeit und Horror: mit Opa Krömer, der mitten in der Talkshow plötzlich Reklame macht für Hörgeräte und Bestattungsunternehmen, mit Mutti Krömer, die ihrem Kurti, wenn er wieder frech wird, auch schon mal eine scheuert.
Kurt Krömer wurde 1974 als Alexander Bojcan in Neukölln geboren, und jetzt ist er Neuköllns größter Sohn. Natürlich kann man ihn einfach süß finden und liebhaben. Doch der Herr Kurt kann einem auch, für ein paar Augenblicke jedenfalls, ziemlich unheimlich werden, dann meint man im netten Mann von nebenan den aggressiven Schwerneurotiker, den gut getarnten Amokläufer zu erkennen.
Und plötzlich denkt man, mitten in Neukölln, an Alfred Polgars Satz über den Komiker Karl Valentin: "Er ist ein Gespenst und doch ein Münchner." Sollte der nette, schrecklich-nette Herr Krömer vielleicht nicht nur ein Berliner sein, sondern auch ein Gespenst? Gut jedenfalls, wenn wir ihn nicht im Treppenhaus treffen!
(SZ vom 3.7.2007)
Manchmal hasst der Spaßmacher seine Zuschauer bestimmt: Allzu weit ist Herrn Krömers Publikumsbezauberung nicht von der Publikumsbeschimpfung entfernt. Eine Sommerreise ins Spaßfernsehen. Von Benjamin Henrichs
Das ist immer wieder ein wunderbarer, ja ein berauschender Augenblick: Wenn der Komiker auftritt und sein Publikum begrüßt. Der Komiker strahlt, und sein Strahlen heißt: Ihr seid das beste Publikum der Welt! Das Publikum rast, und sein Rasen bedeutet: Du bist der beste Komiker aller Zeiten! Wären jetzt nicht gleich die ersten Späße fällig, könnten Publikum und Komiker auch zusammen ein Liebeslied singen, zum Beispiel die alte Weise: "Wir wollen niemals auseinandergeh'n!" Doch wo die Liebe ist, ist die Lüge nicht weit.
Peinlich bis zum Einsturz
Auch der Komiker Kurt Krömer liebt diesen ersten Auftritt und Augenblick. Ja, er liebt ihn so sehr, dass er ihn gern mehrmals wiederholt, in immer neuen, fast immer scheußlichen Anzügen, Hemden und Krawatten aus dem Billig-Kaufhaus nebenan. Er liebt sein Publikum, liebt es wie sein eigenes Kind - weshalb es auch mal passieren kann, dass er zur Rampe stürmt und die Zuschauer selig anlallt wie ein Vater seinen Säugling: "Ja, wo issi denn? Ja, wo issi denn, die Publikum?" Das ist einerseits peinlich, bringt aber andererseits die unvermeidliche Peinlichkeit der Situation durch Übertreibung zum Einsturz.
Man ahnt, dass die Liebe zwischen Komiker und Publikum so ewig nicht ist, dass sie jederzeit vom Verrat bedroht wird. Dass das Publikum schnell zu einem anderen Komiker überlaufen könnte. Dass der Spaßmacher seine Zuschauer bestimmt manchmal hasst. Allzu weit also ist Herrn Krömers Publikumsbezauberung nicht von der Publikumsbeschimpfung entfernt.
Die Musik zur Show ist total schrill, die Kulissen sind knallbunt, doch der Held, der Mann, der sich Kurt Krömer nennt, gehört zur großen Gattung der Grauen. Er ist der nette junge Mann von nebenan, der im Treppenhaus stets freundlich grüßt, den man aber nie genau anschaut. Erst im Fernsehen sieht man, wie nah bei den Krömers dieser Welt das Mittelmäßige und das Monströse miteinander verwandt sind. Man bemerkt jetzt die ewig rutschende Hornbrille, die spießig gescheitelte Frisur, die seltsamen Koteletten, man sieht die groteske Hässlichkeit der Krömerschen Garderobe.
Und am meisten wundert man sich über dieses Lächeln, das man im Vorbeilaufen doch immer ganz sympathisch fand. Man kann wirklich nicht sagen, dass Herrn Krömers Lächeln leuchtet, dass es von innen kommt, "von Herzen", wie man so sagt. Krömer lächelt, weil das Lächeln Teil seines Jobs und Auftrags ist. Er trägt das Lächeln im Gesicht, als hätte er es dort selber festgenagelt. Er trägt das Lächeln, wie der Verkäufer im Kaufhaus sein Namensschild trägt: Es bedient Sie Herr Krömer.
Eine Art Restangst
Komik ist kindlich, und Komik ist peinlich - und es ist Kurt Krömers wunderbarer Kunstgriff, dass er die Peinlichkeiten seines Gewerbes nicht leugnet und dass er sie auch nicht karikierend, höhnend von sich fernhält. Er ist jetzt, und das mit Recht, ein berühmter Mann - aber das Peinigende und Klägliche des Amateurs und komischen Kleinkünstlers hat er nicht etwa stolz von sich abgeworfen, es klebt an ihm und wird ihn niemals verlassen. Er ist jetzt ein Star, aber in seiner Dreistigkeit lauert noch immer die Feigheit. Eine Art Restangst, die auch der tollste Komiker nicht loswird: dass jede Show auch die letzte sein könnte.
Herr Krömer versucht sich als Gewichtheber und als Flirtkünstler, und natürlich ist er, langbeinig, steifbeinig, in jeder Situation eine Witzfigur, ein Versager. Und er ist Talkmaster, der Mann mit den "Knallergästen" und den "Knallerfragen". Vermutlich ist Krömer der beste Talker der Republik: Weil er jedes Gespräch so schnell, wie es nur geht, seiner Vernichtung entgegenführt. Den öden Talk zerstört und verzaubert, in eine Farce verwandelt, bei der es gottlob nicht mehr um "die Wahrheit" geht, nur noch um den wahren Unfug.
Seit einiger Zeit unterstützt ihn hierbei die ganze Krömer-Familie, ein vielköpfiges Ungeheuer, ein wunderlicher Wechselbalg aus Gutherzigkeit und Horror: mit Opa Krömer, der mitten in der Talkshow plötzlich Reklame macht für Hörgeräte und Bestattungsunternehmen, mit Mutti Krömer, die ihrem Kurti, wenn er wieder frech wird, auch schon mal eine scheuert.
Kurt Krömer wurde 1974 als Alexander Bojcan in Neukölln geboren, und jetzt ist er Neuköllns größter Sohn. Natürlich kann man ihn einfach süß finden und liebhaben. Doch der Herr Kurt kann einem auch, für ein paar Augenblicke jedenfalls, ziemlich unheimlich werden, dann meint man im netten Mann von nebenan den aggressiven Schwerneurotiker, den gut getarnten Amokläufer zu erkennen.
Und plötzlich denkt man, mitten in Neukölln, an Alfred Polgars Satz über den Komiker Karl Valentin: "Er ist ein Gespenst und doch ein Münchner." Sollte der nette, schrecklich-nette Herr Krömer vielleicht nicht nur ein Berliner sein, sondern auch ein Gespenst? Gut jedenfalls, wenn wir ihn nicht im Treppenhaus treffen!
(SZ vom 3.7.2007)
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