Knaller an der Zeitungsfront

Thursday, October 11, 2007

"Da ist man plötzlich auf der Suche nach Gott" (Welt)

11. Oktober 2007, 04:00 Uhr
"Da ist man plötzlich auf der Suche nach Gott"
Ironman-Gewinner Faris Al-Sultan über Grenzerfahrungen im Triathlon und die Idee, nach der Karriere mit Doping die Leistungsgrenze auszutesten

Vor zehn Jahren absolvierte Faris Al-Sultan seinen ersten Langdistanz-Triathlon, 2005 krönte er seine sportliche Karriere mit dem Gewinn des Ironman Hawaii (3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren und 42,195 km Laufen). Am Samstag kämpft der 29 Jahre alte Münchner auf der Trauminsel wieder um den Sieg. WELT-Mitarbeiter Axel Heuber sprach mit dem Ausnahmeathleten.

Hawaii gilt als Synonym für das Paradies. Sie bestreiten dort einen der härtesten Wettkämpfe der Welt. Ist Hawaii nicht ein schrecklicher Ort?
Überhaupt nicht. Hawaii ist eine wunderschöne Insel, und ich bin gern dort. Aber klar, wenn der Wettkampf langsam näher rückt, dann weiß ich, dass es bald wieder wehtut.

Stimmt es, dass Sie Ihren ersten Marathon mit gefälschten Papieren gelaufen sind?
Ich war damals 16 Jahre alt, und in Deutschland ist die Teilnahme an einem Marathon erst ab 18 Jahren erlaubt. Also habe ich ein wenig auf dem Anmeldebogen geschummelt.

Mit 19 haben Sie Ihren ersten Ironman absolviert. Aber in Spanien, weil in Deutschland das Mindestalter bei 21 Jahren liegt.
Ich habe eine Werbung für den Ironman auf Lanzarote gesehen. Ich habe angerufen, und die haben gesagt: "Überweis die Kohle, dann kannst du mitmachen."

Woher wussten Sie, dass Sie mit Triathlon das Richtige tun?
Es hat mir Spaß gemacht! Es war anstrengend. Es war etwas Gutes. Ich wollte einfach hart werden. Und lernen, hart zu mir selbst zu sein. Das war der Reiz.

Was würden Sie anderen Menschen raten, die gern so einen eisernen Willen hätten wie Sie?
Du solltest dir Ziele setzen und sie dann verwirklichen. Wichtig dabei ist aber, dass du realistisch bleibst. Es gibt Leute, die erzählen mir, dass sie ihren ersten Ironman gleich in weniger als neun Stunden schaffen wollen. Das macht doch keinen Sinn. Ein Weg zu einem Ziel sollte nicht ausarten und in Selbstkasteiung enden.

Es gibt Sportler, die dopen, weil sie glauben, damit mehr zu erreichen. Einige von ihnen begeben sich bewusst in Lebensgefahr.
Ich kann nur sagen, ich würde es nicht tun. Aber im Radsport haben wir das Problem ja ganz aktuell. Da ist einer der 15. Mann in einem Team, verdient 50 000 Euro im Jahr, hat Frau und Kinder. Er hat nichts gelernt, alles was er kann, ist feste in die Pedale treten. Und dann geht ihm durch den Kopf: Wenn ich meine Leistung nicht bringe, dann schmeißen die mich raus. In solchen Teams gibt es wirklich Jungs, die sind absolut austauschbar. Die haben Angst um ihren Job. Wenn die das machen, dann habe ich ein gewisses Verständnis dafür. Aber grundsätzlich muss der Sport dafür sorgen, dass das Spielfeld für alle gleich groß ist.

Haben Sie schon mal gedopt?
Nein. Auch, wenn ich es am Ende nicht 100-prozentig beweisen kann. Ich könnte ja viel behaupten. Aber ich werde regelmäßig getestet, und auch meine Leistungsentwicklung spricht für mich. Nicht so wie bei den griechischen Sprintern, die in zwei Jahren ihre Zeit über 200 Meter um zwei Sekunden verbessert haben.

Wäre das nicht reizvoll? Mal sehen, was noch rauszuholen ist?
Auf jeden Fall! Das hat sich doch jeder Sportler schon mal überlegt. Mann, am Ende meiner Karriere, dann melde ich das an. Ich gehe zu denen hin und sage: Hey, ich bin jetzt voll. Ich habe ein paar Ampullen von dem russischen Kampfpiloten-Amphetamin im Blut. Alle Schalter im Hirn sind auf Go gestellt. Der totale Wahnsinn. Zu wissen, wie gut man dann ist, wäre für jeden Sportler spannend. Außer für die, die schon gedopt haben. Die kennen das wahrscheinlich schon.

Vor zwei Jahren haben Sie den Ironman auf Hawaii gewonnen. Ihre Mutter hat damals nach einem Blick in Ihre Augen gesagt, dass Sie an diesem Tag keiner besiegen wird, weil sie den "entschlossenen Tiger" in Ihnen gesehen hat.
Ja, das ist das Gefühl, das ich immer suche, der Zustand, den ich versuche herzustellen. Das ist nicht so einfach, jedenfalls ohne russisches Kampfpiloten-Amphetamin. Manchmal habe ich diese Entschlossenheit beim Schwimmen, manchmal beim Radfahren. An einem perfekten Tag hast du es über alle drei Disziplinen. Bei einem Sprinter dauert das Rennen nur einige Sekunden, da ist die totale Entschlossenheit kein Problem. Aber während eines Wettkampfes von acht Stunden ist es ein Auf und Ab.

Thomas Hellriegel, 1997 Gewinner des Ironman auf Hawaii, hat einmal gesagt, es gebe Minuten im Wettkampf, da könnten sich die Athleten "von innen sehen". Wie sehen Sie von innen aus?
Es gibt den Zustand höchster Anstrengung, wenn man neben sich steht und sich selbst als zweite Person wahrnimmt. Man ist wie im Rausch und nicht mehr Herr seiner Sinne. Es kann sein, dass man einen wildfremden Menschen, der an der Strecke steht und einen anfeuert, unglaublich intensiv wahrnimmt. So als wäre sein Gesicht direkt vor dem eigenen. Und eine andere Person, die man vielleicht sehr gut kennt, sieht man überhaupt nicht. Das ist eine selektive Wahrnehmung, die ich nicht erklären kann.

Wenn Sie im Wettkampf stundenlang unterwegs bist, woran denken Sie dann?
Es sind Kleinigkeiten. Was muss ich an der nächsten Verpflegungsstelle zu mir nehmen, wann kommt sie, wo ist die nächste Kurve. Dazu kommen die Rückmeldungen aus dem Körper. Es gibt aber auch kurze Phasen, in denen ich an andere Sachen denke, wie schön es zu Hause ist oder ob ich daheim den Ofen ausgemacht habe. Grundsätzlich bin ich im Wettkampf aber vor allem konzentriert, auf dem Rad muss ich zum Beispiel aufpassen, dass ich keinen über den Haufen fahre.

Und im Training?
Das ist etwas anderes. Da kommen dann die Theorien. Am extremsten ist mir das aufgefallen, als ich 1999 in den Emiraten war. Dort bin ich oft fünf bis sechs Stunden allein auf dem Rad durch die Wüste gefahren. Niemand spricht, dazu kommen Nahrungsentzug und Dehydrierung. Da ist man plötzlich auf der Suche nach Gott. Kein Wunder, dass Religionen immer in der Wüste entstehen.

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