Knaller an der Zeitungsfront

Wednesday, January 17, 2007

Die Freiheit des Garagentors (Berliner Zeitung)

Die Freiheit des Garagentors
Der einstige Spaßfußballer Sebastian Deisler beendet mit 27 Jahren frustriert seine Karriere
Boris Herrmann

BERLIN. Es gibt zwei Sebastian Deislers. Einer hat goldblonde Haare, Streichholzbeinchen, eine Stimme wie ein Kolibri und Milchzähne, die ein bisschen an Bugs Bunny erinnern. Dieser kleinwüchsige Junge ist einer der letzte Straßenfußballer Deutschlands. Seine Technik trainiert er sich an einem Garagentor in seiner Heimatstadt Lörrach an. "Fußball spielen verboten", steht darauf. Die Nachbarschaft muss darunter leiden, aber beim örtlichen Fußballverein reiben sie sich die Hände. In seiner ersten Saison beim FV Lörrach erzielt der elfjährige Pimpf 99 Tore - der Legende nach hat er sich dazu noch 99 Vorlagen gegeben. Er ist so quirlig und so voller Tatendrang, dass er vor jedem Spiel mit seinem Papa 20 Kilometer durch den Wald radelt. Einfach so, zum Spaß.

Der andere Sebastian Deisler sitzt im vollgequetschten Presseraum des FC Bayern. Er ist ungefähr zwei Mal so groß und spricht fünf Mal so leise. Er murmelt: "Wenn Fußball zur Qual wird, und das war es in letzter Zeit, dann ist es besser aufzuhören." In diesem Moment hält nur die vordere Zahnreihe die Vermutung aufrecht, dass diese beiden Deislers ein und die selbe Person sind. Und das ist wohl die eigentliche Ironie dieser Sportlerkarriere: Sie hat, wie keine andere, mit absoluter Spielfreude begonnen und ist nun, wie keine andere, mit absolutem Frust zu Ende gegangen.

Das falsche Tor zur falschen Zeit

Zwischen dem Deisler, der fröhlich gegen das Garagentor kickt und jenem, der zum Abschied im Presseraum flüchtig die Hand hebt, liegen zwar gut fünfzehn Jahre. Die Metamorphose - und das war immer Deislers Problem - hat sich jedoch binnen weniger Monate vollzogen. Es waren jene Monate, als er sich, wie er einmal sagte, beim Wachsen zuschauen konnte, und als sein außergewöhnliches Talent für ihn vom Segen zum Fluch wurde. Es war im Sommer 1999, als er von Borussia Mönchengladbach zu Hertha BSC kam und, ehe er sich versah, Basti-Fantasti hieß.
Wenn Deisler über diesen entscheidenden Wendepunkt in seinem Leben spricht, zitiert er einen Satz aus einem Zeitungsartikel von damals: "Als er in Berlin ankam, war sein Image schon da." Es war nicht irgendein Image. Deisler wurde, wie man im Werbedeutsch sagt, als Messias des deutschen Fußballs positioniert. Mit allem, was dazu gehört. "Da habe ich morgens in der Zeitung gelesen, welches meine Lieblingsjeans sind. Und ich wollte einfach ein ganz normaler Junge sein", beschreibt er dieses Los.

Wenn man so will, hat Sebastian Deisler einfach zur falschen Zeit am falschen Ort das falsche Tor geschossen. Ein Jahr zuvor, bei der WM 1998 in Frankreich, hatte sich die deutsche Nationalmannschaft bis auf die Knochen blamiert. Es schien damals weit und breit keinen zu geben, der als Retter in Frage kam. Und genau dann kam Sebastian Deisler. In seinem elften Bundesligaspiel erzielte er nach einem Alleingang über sechzig Meter sein erstes Bundesligator - so wie er es beim FV Lörrach gewohnt war. Viele sahen in ihm von diesem Tag an mindestens einen zweiten Beckenbauer am deutschen Fußball-Horizont. Er ist dann doch nur ein zweiter Lars Ricken geworden.

Sebastian Deisler hat acht Jahre in der Bundesliga gespielt, und alle acht sind vorübergegangen, ehe er seine Form gefunden hat. Deshalb klingt es nur logisch, wenn er jetzt über seinen Abgang sagt: "Es war keine Entscheidung von heute auf morgen. Sie ist in mir gereift." Stilprägend für dieses Karriere war ja gerade, dass sie seit ihrem fulminanten Beginn stets vom Ende bedroht war. Wer Liebe fürs Detail aufbringt, kann sie unterteilen in vier Jahre Hoffnung und vier Jahre Mitleid. Ansonsten wiederholte sich in der Profi-Laufbahn von Sebastian Deisler immer wieder die selbe Geschichte: Ein Mann kämpft gegen überzogene Erwartungen - und verliert. Immer wenn es so schien, als habe er das Niveau erreicht, das alle von ihm erwarteten, kam etwas dazwischen: ein verspannter Muskel, eine Depression, Mehmet Scholl, das Saisonende.

Stattlicher Stundenlohn

Man kann die Bilanz von Sebastian Deisler natürlich auch positiv sehen. Es gibt kaum einen Fußballer auf dieser Welt, der für einen höheren Stundenlohn gearbeitet hat. Im Jahr 2001 wechselte er zum FC Bayern München und hat dafür neben einer Anzahlung von 20 Millionen D-Mark einen der höchstdotierten Verträge der Bundesligageschichte bekommen. Dem gegenüber stehen 62 Bundesligaeinsätze für die Münchner und 36 Länderspiele. Einer, der aus Spaß Fußballprofi wurde, musste damit wohl zwangsläufig unglücklich werden. Deislers angeborener Übereifer hat diese Situation noch einmal verschärft. Seine Berater nannten ihn beratungsresistent, seine Fans geldgierig und seine Trainer übereifrig.

Unter dem Erwartungsdruck an der Säbener Straße hat neben Deislers Psyche vor allem sein rechtes Knie zunehmend gelitten. Er hat zwei Weltmeisterschaften und eine Europameisterschaft verpasst. Er sollte und wollte eigentlich eine neue Ära beim deutschen Rekordmeister prägen - stattdessen wird in der Erinnerung wohl nur jenes Bild zurückbleiben, wie er auf die Schulter eines Physiotherapeuten gestützt in wechselnden Einstellungen vom Spielfeld humpelt.

So traurig dieser Abschied im ersten Moment erscheinen mag, es ist eine längst überfällige Entscheidung. Der FC Bayern hat nun, da sich auch Hasan Silihamizic zu Juventus Turin verabschiedet, gleich zwei Karteileichen weniger im Mittelfeld. Und damit auch die endgültige Gewissheit, dass sich Manager Uli Hoeneß mit seinem Festgeldkonto unterm Arm auf dem Spielermarkt umsehen muss.

Und Sebastian Deisler hat endlich ein Stück seiner alten Garagentor-Freiheit wieder gewonnen, die sie ihm damals in Berlin ungefragt genommen haben. Er hat es nie geschafft, ein ganz normaler Fußballspieler zu werden. Nun ist ihm zu wünschen, dass er auf seinem Weg zum ganz normalen Menschen mehr Erfolg hat.

Berliner Zeitung, 17.01.2007

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