Knaller an der Zeitungsfront

Friday, July 18, 2008

Energiezwerg Russland (fr)

Sprit- und Strompreise
Energiezwerg Russland
VON ALEXEI GRIGORJEW UND WLADIMIR TSCHUPROW

Russischer Kohle-Kumpel (rtr)
In Russland beträgt der Anteil erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch knapp zwei Prozent und wird sich im kommenden Jahrzehnt kaum erheblich erhöhen. Und dies, obwohl Russland über kein geringeres Potenzial an erneuerbaren Energien verfügt als die EU oder China. In fast allen Teilen Russlands gibt es drei Arten erneuerbarer Energiequellen, die schon heute ökonomisch effizient genutzt werden könnten: Windenergie, kleine Wasserkraft und Biomasse.

Insgesamt liegt die Menge ökonomisch nutzbarer erneuerbarer Energien in Russland bei über 300 Millionen Tonnen Öläquivalent. Damit könnte ein Drittel des Primärenergiebedarfs Russlands gedeckt werden. Allerdings wird dieses Potenzial selbst nach optimistischen Schätzungen nur zu sieben Prozent ausgeschöpft, so dass derzeit Primärenergie aus regenerativen Energien in Höhe von etwa 22 Millionen Tonnen Öläquivalent produziert wird. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um die Produktion von Wärmeenergie aus Biomasse, anders gesagt: um Holzfeuerung.

Moderne Technologien werden bei der Verbrennung von Biomasse wie auch bei anderen erneuerbaren Energien nur sehr wenig genutzt, obwohl die UdSSR in diesem Bereich einst an der Spitze der technologischen Entwicklung stand. Vor dem Hintergrund des weltweiten Booms der Windenergie - der Markt für Windkraftanlagen wuchs im Jahr 2006 weltweit um 32 Prozent - ist insbesondere der Niedergang des russländischen Windkraftanlagenbaus frappierend. …

Alle Beschlüsse der letzten 20 Jahre, in Russland erneuerbare Energien stärker zu nutzen und die Energieeffizienz zu steigern, zeitigten nur sehr bescheidene Resultate. Wenn es überhaupt Ansätze für eine energiepolitische Wende gab, so bestanden sie nur auf dem Papier. Alle Ankündigungen, die Russland international machte - etwa bei den Gipfeltreffen der G8-Staaten - blieben Lippenbekenntnisse.

Der letzte Versuch, den Ausbau erneuerbarer Energien staatlich zu fördern, datiert aus dem Jahr 2002. Das damals verabschiedete Programm "Energieeffiziente Wirtschaft", thematisierte unter anderem die Energieversorgung des russländischen Nordens.

Es sah vor, bis zum Jahr 2010 in jenen entlegenen Gebieten im Norden, in Sibirien und im Fernen Osten, die nicht an das zentrale Strom- und Wärmenetz angeschlossen sind, mit erneuerbaren Energien betriebene Strom- und Wärmekraftwerke mit einer Gesamtkapazität von 1000 Megawatt bei Strom und 8200 Megawatt bei Wärme zu errichten. Obwohl der Löwenanteil der Investitionssumme - 99 Prozent der veranschlagten sieben Billionen Rubel - auf die Instandhaltung von Atomkraftwerken und den Ausbau der Öl- und Gasförderung fallen sollten, war wenigstens die Idee der Nutzung erneuerbarer Energien aufgekommen.

Doch im Jahr 2005 wurde das ganze Programm mit fadenscheinigen Begründungen eingestellt. Freilich hat die Regierung ein neues Programm für erneuerbare Energien angekündigt. Doch wann dieses verabschiedet wird, steht in den Sternen. Auch die Verabschiedung eines seit langem angekündigten Energiesparprogramms wird immer wieder hinausgeschoben, gegenwärtig soll es im Jahr 2010 in Kraft treten.

Als Grund für die Rückständigkeit Russlands bei der Nutzung erneuerbarer Energien wird daher meist genannt, dass es kein Gesetz zu ihrer Förderung gebe. Zweifellos spielt all das eine Rolle. Doch die eigentliche Frage lautet: Warum gibt es ein solches Gesetz nicht?

Grünbuch (pdf, 220 KB)
Eine erhebliche Rolle spielen die großen Vorräte an den fossilen Energieträgern Erdgas, Erdöl und Kohle. Die russische Führung sieht keinen Anlass zu einer energiepolitischen Wende. Manche sehen in erneuerbaren Energien sogar eine unliebsame Konkurrenz für Russlands fossile Energieträger, deren Export so wichtig für das Land ist. Über die Nutzung regenerativer Energien wird, wenn überhaupt, nachgedacht, wenn es darum geht, wie der Binnenverbrauch von Erdöl und Erdgas gesenkt werden kann, um die Erlöse aus dem Öl- und Gasexport weiter zu steigern.

Hinzu kommt, dass die zu Zeiten der Sowjetunion errichteten Großkraftwerke für eine zentrale Versorgung riesige Kapazitäten geschaffen haben. Damit wird ein energiepolitischer Pfadwechsel enorm erschwert: Die mächtige Atom- und die Kohleindustrie sowie die Betreiber der großen Wasserkraftwerke sind nicht am Ausbau erneuerbarer Energiequellen interessiert, sondern an der staatlichen Subventionierung ihres Sektors. Wie erfolgreich diese Sektoren um staatliche Mittel werben, hat sich erst im Dezember 2007 wieder gezeigt, als die Regierung beschloss, den Kohleabbau in einer Grube in der Republik Tuwa mit mehr als zwei Milliarden US-Dollar aus dem Investitionsfonds zu fördern.

Eine weitere, weniger offensichtliche Ursache dafür, dass selbst kleine Projekte wie die Errichtung von kombinierten Wind-Diesel-Anlagen zur Versorgung entlegener Siedlungen im Hohen Norden scheitern, sind staatliche Transfergelder und die mit ihnen verbundene Korruption. Die hochsubventionierte Belieferung der Außenposten im Hohen Norden mit Energie ist ein Feld für systematische Unterschlagungen und Korruption. An der Erhaltung des Status quo sind ein ganzer "informeller" Wirtschaftszweig sowie die eng mit diesem verbundenen korrupten Beamten interessiert.

Die Aussichten für die erneuerbaren Energien sind also wenig rosig. Seit Ende 2007 gibt es jedoch einen Hoffnungsschimmer. Dank der Lobbyarbeit des nationalen Stromversorgers EES Rossii wurden bei der Novelle des Elektrizitätswirtschaftsgesetzes, die im Herbst 2007 durch die Duma und den Föderationsrat gepeitscht wurde, einige Bestimmungen aufgenommen, die auf die Förderung erneuerbarer Energien zielen.Grund für die Eile war, dass Mitte 2008 EES Rossii umstrukturiert werden soll. In dem neuen Gesetz werden erneuerbare Energien in mindestens vier Artikeln erwähnt. Das ist ein enormer Fortschritt, fiel doch das Wort "erneuerbar" in der Fassung des Gesetzes aus dem Jahr 2003 kein einziges Mal. Allerdings bleiben die staatlichen Maßnahmen zur Förderung erneuerbarer Energien vage: Gemäß Art. 21 der neuen Fassung des Gesetzes legt die Regierung- Ziele für die Produktion und den Verbrauch von Strom aus erneuerbaren Energien fest, beschließt Pläne zur Erreichung dieser Ziele und fördert die Nutzung erneuerbarer Energien; - Kriterien für die Bereitstellung von Subventionen aus dem Staatshaushalt fest, um den Anschluss von Kraftwerken, die eine Kapazität von maximal 25 Megawatt haben und mit erneuerbaren Energien betrieben werden, an das landesweite Stromnetz zu finanzieren; - auf der Basis des Strompreises auf dem Großhandelsmarkt einen zusätzlichen Vergütungssatz für Strom aus erneuerbaren Energien sowie verbindliche Ankaufsmengen fest.

Da der Regierung keine Vorgaben gemacht werden, in welchem Zeitraum, wie konkret und in welchem Umfang sie erneuerbare Energien fördern wird, gleichen die Aufforderungen zum Ausbau regenerativer Energien einer Sammlung frommer Wünsche. Die einzige Bestimmung, die den Einsatz erneuerbarer Energien konkret verlangt, betrifft Verluste in den Stromnetzen, welche die Netzgesellschaften in erster Linie durch Strom aus regenerativen Energien kompensieren müssen. Allerdings gibt es auch hier zahlreiche Schlupflöcher. So ist mit einer Regierung, die bisher keinerlei Neigung gezeigt hat, die Nutzung erneuerbarer Energien zu fördern, von dem neuen Gesetz nicht viel zu erwarten.Vollends könnte der Fortschritt, den es gebracht hat, zunichte gemacht werden, wenn der Strom aus großen Wasserkraftwerken der Energie aus erneuerbaren Quellen zugeschrieben wird. Dann könnte, was unter dem Namen Förderung der regenerativen Energien firmiert, auf eine Subventionierung hydroenergetischer Megaprojekte hinauslaufen.

Doch auch wenn der Staat untätig bleibt, spricht vieles dafür, dass sich der Anteil erneuerbarer Energien an der Primärenergieproduktion in Russland in den nächsten Jahrzehnten erhöhen wird. Zum einen sorgen die steigenden Preise für fossile Brennstoffe auf dem Binnenmarkt dafür, dass jene Siedlungen in entlegenen Gebieten, die nicht an die zentralen Energienetze angeschlossen sind, ihre Energieversorgung umstellen müssen, wenn sie nicht ganz aufgegeben werden. Zum anderen werden sich auch in den urbanen Zentren immer mehr Hausbesitzer mit dem Gedanken anfreunden müssen, dass die fossilen Energieträger endlich sind und die Wärme und Stromversorgung aus dieser Quelle daher immer teurer und unsicherer wird. Das Ende des fossilen Zeitalters wird kommen, und mit ihm das energiepolitische Umdenken auch in Russland.

Grünbuch.Politische Ökologie im Osten Europas. Themenheft der Monatszeitschrift Osteuropa, Berlin. 496 Seiten, 28 Euro.



Die AutorenWladimir Tschuprow ist Physiker, Energiereferent und Mitarbeiter von Greenpeace Russland in Moskau.Alexei Grigorjew ist Biologe, Energieexperte der Sozialökologischen Union und Pressesprecher der russischen Vertretung der Internationale Union for Conservation of Nature and Natural Resources in Moskau.Der dokumentierte Beitrag ist dem Grünbuch Osteuropa entnommen. Übersetzt aus dem Russischen wurde er von Vera Ammer, Euskirchen.

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