Knaller an der Zeitungsfront

Friday, July 18, 2008

Halbmond auf Halbmast (taz)

18.07.2008
Schrift
die wahrheit
Halbmond auf Halbmast
Kreuzberg trägt Trauer. Wie viele Viertel, in denen Menschen mit Miracoli-Hintergrund leben. Dort weht der Halbmond auf Halbmast. Denn ... VON MICHAEL RINGEL

Kreuzberg trägt Trauer. Wie viele Viertel, in denen Menschen mit Miracoli-Hintergrund leben. Dort weht der Halbmond auf Halbmast. Denn der Ölpreisschock hat sein erstes Opfer gefunden: den BMW-Türken.

Seit Wochen schon hatte er sich rar gemacht auf den Straßen, trat an den Kreuzungen kaum mehr in Erscheinung, der prächtige Kerl mit seinen kecken Goldkettchen um den Hals. Sonst ließ er an jeder roten Ampel den Motor aufheulen; winkte beim Kickstart den Kindern auf den Schulhöfen freundlich zu; bretterte mit 100 Sachen durch die Tempo-30-Zone; jagte fröhlich hupend Rolator-Omas über den Zebrastreifen; ließ sommers wie winters seinen muskulösen Arm lässig aus dem Autofenster hängen, aus dem gar köstliche Klänge drangen: umpfff zwirbel, umpfff zwirbel …

Früher da eröffnete Vater Türk einen Gemüseladen, leaste einen Geschäftswagen und übergab den BMW dann dem ganzen Stolz seiner Familie, dem Erstgeborenen, der fortan Abend für Abend seine Runden drehte zwischen McDonald's und McFit. Heutzutage aber fließen bittere Tränen statt Benzin und Super, die zu teuer geworden sind für den jungtürkischen Liebhaber bayerischer Riesenkutschen. Immer mehr Limousinen werden derzeit aus Kostengründen zurückgegeben oder stillgelegt, heißt es in Autohändlerkreisen. An Neuverkäufe der Luxusschlitten sei gar nicht zu denken.

Nun sitzt der bedauernswerte BMW-Türke daheim fest, denn zu Fuß fortbewegen würde er sich nie. Schlimmer wäre nur, von Freunden in einer japanischen Zwergenschleuder gesehen zu werden. Aber das wird nie geschehen, denn BMW ist sein Leben. Der Fünfer-BMW wird nicht grundlos "Türkenblitz" genannt. Wie klänge denn das Umpfff-Gezwirbel auch aus den schwachen Boxen eines Kleinwagens?

Gerade erst hatte der BMW-Türke den ersten existenziellen Schock seines Lebens verarbeitet. Sein Elfterseptember fand im Dezember 2002 statt, als im Ärmelkanal der Autotransporter "Tricolor" nach einer Kollision mit einem anderen Schiff sank und 3.000 nagelneue BMW mit sich in die Tiefe riss. In Kreuzberg wurden Trauerseminare eingerichtet. Schwarze Schleifen an Rückspiegeln prägten lange Jahre das Bild der türkischen Autogemeinden zwischen Berlin und Istanbul.

Quo vadis, Freund Jungtürke?, fragen sich jetzt nicht nur deutsche Fußgänger und befürchten weitgehende Folgen für den sozialen Frieden in Deutschland. War der BMW dem Deutschländer doch immer auch ein Ventil, mit dem er überschüssige Hormone in Zylinder umleiten konnte. Steht der BMW-Türke also am Scheideweg? Wird er umschulen auf Hybridauto? Oder wird er auf das schrecklichste Fortbewegungsmittel umsteigen, das er sich überhaupt nur vorstellen kann? Einen Volkswagen?

Da könne er ja gleich deutsche Volksmusik hören, sagt sich der zutiefst verunsicherte Bosporus-Bleifuß. Seinen fellbesetzten Autositz hat er ausgebaut und sich beleidigt in sein von Wehklagen und Wandteppichen verhangenes Schneckenhaus zurückgezogen. Dort träumt er von seiner großen Vergangenheit und einer glücklichen Zeit, als er abends noch mächtig rumseldschukte in seinem "Busen müssen wackeln", abgekürzt: BMW.

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